:
Deutschland, deine Lieder ■ Von Joachim Schulz
Dass deutsches Liedgut in jedem zivilisierten Staat als vorsätzliche Körperverletzung gelten würde, ist ja nichts Neues: Erschüttert erinnern wir uns an die akustischen Zumutungen, mit denen uns Sangesknaben wie Chris Roberts, Roland Kaiser oder Klaus Lage weiland kujonierten.
Bis heute sind wir vor den Attacken dieser aggressiven Spezies nicht sicher, denn leider gibt es noch immer Nachahmer und Wiederholungstäter, die mit entschiedenem Furor an der Zerrüttung unserer geistigen Gesundheit arbeiten. Fest steht, dass die Inquisition des Mittelalters viel effektiver gewesen wäre, wenn sich in ihrem Folterwerkzeugkoffer neben Daumenschrauben und der Eisernen Jungfrau auch Wolfgang Petry und „Pur“ befunden hätten.
Kein Schrecken aber scheint der deutschen Musikindustrie zu groß, als dass er nicht noch getoppt werden könnte. Infolgedessen versorgt sie den Markt derzeit mit Machwerken, die alles bisher Dagewesene in puncto Brunzdummheit mühelos in den Schatten stellen und die Hervorbringungen der obengenannten Jodelheimer als eher lässliche Verfehlungen von harmlosen Spinnern erscheinen lassen. Kennen Sie beispielsweise Mickie Krause? Nein? Mir ging es bis vor kurzem genauso. Doch wenn Sie meinen, dass allein dieser Name schon verdächtig nach „Manta, Manta“ und Ballermann 6 schmecke, sind Sie bereits auf der richtigen Spur. Denn Mickie Krause hat die Welt um ein künstlerisches Kapitalverbrechen bereichert, das – jetzt halten Sie sich bloß gut an Ihrem Frühstücksbrötchen fest – tatsächlich die Reimzeilen enthält: „Drei nackte Friseusen/mit nassen... – Haaren.“ Selbst Mickie K. jedoch darf allenfalls als musikalischer Hilfshalunke gelten, wenn man ihn mit einem anderen Plärrer vergleicht, der sich – wie beziehungsreich! wie sublim! – den Namen „Dr. Sohmer“ gegeben hat und zum Zwecke der Gesangsdarbietung in die Rolle eines Frauenarztes schlüpft. Dieser sinistre Doktor entblödet sich jedoch nicht nur, Sätze wie „Vergisst Sybille/Mal die Pille/wird empfänglich ihre Rille“ oder „Evi ist nicht mehr ganz frisch/ihr Mäuschen stinkt nach altem Fisch“ ins Mikrofon zu hecheln. Aus dem Refrain seines unsäglichen Elaborats geht vielmehr ganz unzweideutig hervor, dass er bei der Menschwerdung irgendwie den Anschlusszug verpasst hat und deshalb ein Dasein als emotional minderbemittelter Rauhaardackel führen muss. Denn der Refrain geht wie? So: „Mädchen, mach die Beine breit,/der Onkel Doktor ist soweit./Ob Hygiene oder Spritze,/hilft er jeder feuchten Ritze.“ An einzelne Fälle von psychopathologischer Gehirnerweichung indessen haben wir uns längst gewöhnt, und deshalb hätten wir für das Tun von Sohmer & Co. nur ein missvergnügtes Schulterzucken übrig, wenn ihre Fangemeinde nicht mehr als eine kleine Schar von Mitdackeln umfasste. Tatsächlich aber landen diese Herren mit ihren Produktionen regelmäßig in der vorderen Hälfte der hiesigen Top 100, und daraus ist zu folgern, dass es zahllose Zeitgenossen geben muss, die derlei hören, kaufen und lustig finden. Andererseits jedoch versetzt uns dieser Umstand in die Lage, eine letztgültige Antwort auf die Frage „Wie blöd sind die Deutschen wirklich?“ geben zu können.
Und die Antwort lautet: Sehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen