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Überfluss und Mangelware

Das wenigste Wasser auf unserem blauen Planeten ist trinkbar, das wenige zudem höchst ungleich verteilt. Im Norden wird es vergeudet, im Süden muss gespart werden. Experten halten Streit um Wasser für die Hauptkriegsgefahr des 21. Jahrhunderts Von Andreas Zumach

Mehr als zwei Drittel der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Doch von den insgesamt 13.400 Billiarden Tonnen (oder auch: Kubikmeter) des kostbaren Guts sind 97,5 Prozent salzhaltiges Meerwasser – weder trinkbar noch zur Bewässerung geeignet. Von den verbleibenden 335 Billarden Tonnen Süßwasser sind wiederum 95 Prozent für Menschen, Tiere und Pflanzen nicht erreichbar: entweder weil sie in Gletschern, ewigem Schnee oder im Eis der Polarregionen gebunden sind oder als Grundwasser mehr als 1.000 Meter tief und damit unzugänglich in der Erde liegen.

Es bleibt eine theoretisch nutzbare Süßwassermenge von 16,75 Billiarden Tonnen. Bei einer Weltbevölkerung von sechs Milliarden Menschen, die nach Berechnungen des UNO-Bevölkerungsfunds (UNPFA) kurz vor oder kurz nach der Jahrtausendwende erreicht wird, wären dies pro Erdbewohner theoretisch knapp 280.000 Tonnen verfügbares Süßwasser. Doch der größte Teil dieser Menge verdunstet. Ein weiterer erheblicher Anteil wird von Tieren und Pflanzen verbraucht. Es bleiben pro Erdenbürger schließlich jährlich rund tausend Tonnen nutzbares Wasser.

Diese tausend Tonnen Wasser sind nur eine statistische Größe. Denn die nutzbaren Wasservorräte sind sehr ungleich über die Erde verteilt. Ein US-Amerikaner kann 62-mal so viel Wasser verbrauchen wie ein Einwohner Saudi-Arabiens. Die drei wichtigsten Faktoren für die Wassermenge, die einem Menschen tatsächlich zur Verfügung steht, sind die Bevölkerungsdichte seines Heimatlandes, die jährliche Regenmenge und die Wasserzufuhr durch Flüsse.

Diese Faktoren bedingen einander: Die Sahara-Region verzeichnet im weltweiten Vergleich die geringsten Regenfälle, hat keinen Zugriff auf Flusswasser und ist auch deshalb so dünn besiedelt. Ägypten kann seine schnell wachsende Bevölkerung ausreichend mit Wasser versorgen, weil es zusätzlich zu den lediglich 35 Kubikmeter Regen pro Jahr und Einwohner mit Hilfe des Nasser-Stausees jährlich 1.000 Kubikmeter Wasser pro Einwohner aus dem oberen Nil entnimmt.

Ähnliches gilt für die Niederlande, das am dichtesten besiedelte Land Europas: Von den 6.000 Kubikmetern Wasser, die jeder Niederländer jährlich verbraucht, stammen 5.330 Kubikmeter aus Flüssen und nur 670 aus Regenfällen.

Für die Experten bei der UNO-Organisation für Nahrungsmittel und Landwirtschaft (FAO) gelten weniger als 500 Kubikmeter Wasser jährlich pro Kopf als absoluter Mangel – obwohl dies rund 1.370 Liter pro Tag sind. Tatsächlich steht nicht nur den Einwohnern vieler armen Staaten des afrikanischen Kontinents, sondern auch den Bürgern des ölreichen Saudi-Arabiens weit weniger als diese Wassermenge zur Verfügung. Unterschiedliche klimatische Bedingungen, Lebensweisen und Ernährungsgewohnheiten oder der Grad der Industralisierung in den verschiedenen Regionen der Erde führen zu drastischen Unterschieden beim Wasserbedarf.

Die Menschen in Ländern mit gemäßigtem Klima (z.B. Europa) brauchen täglich zwei bis drei Liter Trinkwasser, in Staaten mit extremer Trockenheit und heißen Temperaturen neun Liter und mehr. Pro Jahr sind dies ein bis drei Kubikmeter. Für Haushalt und Dienstleistungen (vom Restaurant bis zum Krankenhaus) werden durchschnittlich weitere 51 Kubikmeter beansprucht – wobei die Spanne von 18 Kubikmeter in Afrika über 92 in Westeuropa bis 240 in den USA und Kanada reicht.

Die Industrie verbraucht jährlich 37 Kubikmeter Wasser pro Erdbewohner (dabei liegen Afrika und China mit je 7 am unteren Ende und die Pazifikstaaten inklusive Japan mit 210 am oberen Ende der Skala). In der Landwirtschaft werden durchschnittlich 394 Kubikmeter pro Kopf eingesetzt (Minimum: Osteuropa mit 162, Maximum: Staaten der ehemaligen Sowjetunion mit 818). Das ergibt einen durchschnittlichen Mindestbedarf von jährlich 482 Kubikmetern pro Erdbewohner. Der tatsächliche Verbrauch bewegt sich Ende der Neunzigerjahre jedoch zwischen 220 Kubikmetern in Afrika und 1.106 Kubikmetern in den USA und Kanada.

Diese Zahlen berücksichtigen zunächst nur die reine Wasserentnahme aus Boden und Gewässern, nicht aber in Auffangbehältern gesammeltes Regenwasser oder Flusswasser, das zum Beispiel für den Betrieb oder die Kühlung von Kraftwerken benützt wird. Zudem basieren die angegebenen Verbrauchszahlen zunächst auf der Annahme einer rein vegetarischen Ernährung – das heißt auf einem Wassereinsatz in der Landwirtschaft ausschließlich zum Anbau von Getreide, Reise, Gemüse, Obst etc. Die Aufzucht von Geflügel, Kühen, Schweinen und anderen Tieren zum Zwecke der Fleischproduktion erfordert pro Kilokalorie zehnmal so viel Wasser wie die Erzeugung rein pflanzlicher Nahrung. Bezieht ein Volk zwanzig Prozent seiner Energie aus fleischlicher Nahrung, steigt der für die Nahrungsmittelproduktion erforderliche Wasserbedarf jährlich um rund 650 Kubikmeter pro Kopf. In den USA und Kanada – den Ländern mit dem weltweit höchsten Fleischkonsum – liegt der reale jährliche Pro-Kopf- Verbrauch an Wasser daher statt bei 1.106 bei über 1.700 Kubikmetern.

Die Gesamtmenge von 16,75 Billiarden Tonnen nutzbarem Süßwasser, die der Menschheit zur Verfügung steht, bleibt zwar unverändert. Doch drei Faktoren erhöhen den Verbrauchsdruck auf die Wasservorräte in dramatischem Ausmaß: das Bevölkerungswachstum, die steigende Lebenserwartung sowie veränderte Lebensgewohnheiten, die in immer mehr Ländern zu verschwenderischem Verbrauch nach dem „Vorbild“ der nördlichen Industriestaaten führen.

Seit Mitte der Neunzigerjahre steigt der weltweite Wasserkonsum etwa doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung. Ohne eine deutliche Korrektur bei den Faktoren Bevölkerungswachstum und/oder Lebensgewohnheiten wird in den nächsten 25 Jahren weltweit ein zusätzliches Süßwasservolumen von sechzig Millionen Liter pro Sekunde erforderlich – das ist das Zwanzigfache der Wassermenge des Nils, mit 5.800 Kilometern der zweitlängste Fluss der Erde (nach dem Mississippi).

Nach Prognosen der UNO wird der Wasservorrat, der jedem Erdbewohner zur Verfügung steht, ohne entschiedene Gegenmaßnahmen bis zum Jahr 2025 im weltweiten Durchschnitt auf ein Drittel des Niveaus von 1950 fallen. Dann wird es laut UNO für zwei Drittel der Menschheit zu einem „ernsthaften Wassermangel“ kommen. Davon wären hauptsächlich die Bewohner der südlichen Hemisphäre betroffen – aber nicht nur: Auch in Industriestaaten des Nordens wie den USA, wo wegen der Übernutzung von Flüssen und Seen der Grundwasserspiegel sinkt und Gewässer wie der Colorado-River langsam auszutrocknen drohen, ist mit erheblichem Wassermangel und dann auch internen Konflikten zu rechnen.

Warnendes Beipiel für die folgenreiche Übernutzung von Gewässern ist der zwischen Kasachstan und Usbekistan gelegene Aralsee, einst der viertgrößte Binnensee der Welt. Er wurde von den beiden Flüssen Syr Daria und Amu Daria gespeist. Ab Ende der Siebzigerjahre zapfte die damalige Sowjetunion im Rahmen eines gigantischen Projekts zur landwirtschaftlichen Bewässerung die beiden Flüsse an und entzog dem Aralsee damit den größten Teil seiner Wasserzufuhr. Der See schrumpfte und der Salzgehalt des Wassers stieg. Aus dem trockengelegten Teil des ehemaligen Seebodens wehte der Wind das Salz in die angrenzenden landwirtschaftlischen Gebiete, die dadurch unfruchtbar wurden.

Durch die Versalzung des Aralwassers wurde der ehemals große Fischbestand des Sees zerstört. Damit verloren die Menschen in den früher am Seeufer und inzwischen mehrere Kilometer entfernt liegenden Dörfern und Städten ihre Haupteinnahmequelle. Seit 1988 ist der See durch eine Sandbank in zwei Teile getrennt. Sein Wasservolumen schrumpfte allein zwischen 1990 und 1992 um zehn Prozent. Ohne neue Wasserzufuhr aus Flüssen wird der ehemals viertgrößte Binnensee der Welt nach Einschätzung von UNO-Experten in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts völlig von der Landkarte verschwinden.

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