Hörhilfe: Die Maschine lebt
■ Kafka durchbohren, Apokalypse tanzen: Zwei Hörbücher prüfen den Sound der Heiligen
Als Blumfeld, ein älterer Junggeselle, eines Abends von der Arbeit heimkommt, hört er „ein eigentümlich klapperndes Geräusch“. Er öffnet seine Zimmertür und wundert sich: „Zwei kleine weiße blaugestreifte Celluloidbälle springen auf dem Parkett nebeneinander auf und ab; schlägt der eine auf den Boden, ist der andere in der Höhe, und unermüdlich führen sie ihr Spiel aus.“ Blumfeld, eine Figur aus einer Kurzgeschichte von Franz Kafka, hat Angst: vor dem nervösen Ticken der Welt und vor der sonderbaren Pingpongmaschine in seinem Zimmer im Besonderen. Darum hilft es ihm auch nicht, dass er die beiden Bälle irgendwann wieder loswird. Blumfeld wird wahnsinnig.
Die Maschinen machen fröhlich weiter, bis heute. Auf einer CD hört man plötzlich „das eigentümlich klappernde Geräusch“: Guricht, eine eher unbekannte Künstlergruppe aus Halle, haben ein Hörbuch mit einer Auswahl von Kafka-Texten gemacht und die Prosaminiaturen „mit Musik unterlegt“. Oder auch nicht: Gleich am Anfang wird nämlich Kafkas „Brücke“ von einer verzerrten E-Gitarre gerade nicht unterlegt, sondern durchbohrt – beziehungsweise „zerrissen und aufgespießt“, „in wildem Schmerz“. So heißt das bei Kafka.
Toll! Gurichts Hörbuch ist ein Angriff! Ganz selten nur hört man, was man liest – das Flügelschlagen im grausamen Albtraum vom „Geier“ zum Beispiel. Die mit allerhand lärmenden Maschinen zusammengesetzten Klangcollagen arbeiten vor allem gegen den Text an: Nachdem der Geier im Blut seines Opfers gebadet hat, läuft die Erzählung aus dem Wimmern atonaler Musik über in einen gut tanzbaren Drum 'n' Bass-Track. Text und Klang treffen sich nicht, die Bedeutungsebenen verkanten, und die Blumfeld-Geschichte ist auch nur ein tickendes Zitat inmitten eines anderen Erzählstücks: „Ein alltäglicher Vorfall“. Zwei Jahre ist diese CD schon alt, in den Audiobook-Abteilungen der Buchhandlungen findet man sie nicht. „Der Geier“ ist ein sprödes kleines Wunder aus den Randgebieten des Hörbuch-Marktes.
Ein bisschen suchen muss man auch nach einem anderen Hörbuch, obwohl es von bekannten Menschen produziert worden ist. Ulrike Haage und Andreas Ammer haben sich (wieder einmal) der Apokalypse zugewandt: „7 Dances of the Holy Ghost“ Der Titel der CD klingt esoterisch, der Inhalt ist gut katholisch. Es geht um Heilige: „wie man es wird“, „temptation of anthony“ und „drachentöter georg“ heißen die Tracks. Da hört man dann mittelalterliche Kirchentexte, die mit lauter Musik unterlegt sind. Und wirklich nur unterlegt: Ben Becker und Katharina Franck (Ulrike Haages Kollegin von der Band „Rainbirds“) erzählen mit schönen Lesestimmen vom tapferen Ritter Georg, „der die Prinzessin rettet, den Armen hilft, Tote erweckt“, und dazu gehen dann ein paar Maschinen so richtig ab. „7 Dances of the Holy Ghost“ ist ein nettes Drum 'n' Bass-Hörspiel: genau das Richtige, wenn man sich für die apokalyptischen Rituale der Dark-Wave-Szene zu schade ist, aber trotzdem vom Weltenbrand träumen möchte.
In spätkatholischen Zeiten, in denen bereits der Vatikan Papstworte im Techno-Remix anbietet, ist das natürlich nicht besonders originell. Bleiben wir lieber bei den unheiligen Heiligen der Moderne: „Es werden die Schriften geprüft, und es ist festzustellen, ob er im Ruf der Heiligkeit gestorben ist“, erklären uns Ben Becker und Katharina Franck das entsprechende kirchenrechtliche Prozedere. Franz Kafka ist an seiner Lunge gestorben. Seine Schriften prüfen wir noch, inzwischen auch mit Hörbüchern. Das ist aufregend. Kolja Mensing ‚/B‘Guricht: „Der Geier. Kurzgeschichten von Franz Kafka“. CD. Tatarin, Halle 1997, Kontakt: (03 45) 5 32 38 55 Ammer & Haage: „7 Dances of the Holy Ghost“. CD. sans soleil, Bonn 1999, 35 DM
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