: Querspalte
■ Zu lustig fürs Arbeiten
Doch, doch. Es ist ja auch etwas Beruhigendes daran, dass die Menschen hierzulande Politik nicht mehr besonders interessant finden. Ca me fou, sagt der Franzose – es geht mir kurz unterhalb des Rückens vorbei. Es gibt Wichtigeres. Aber was? Was ist beispielsweise in Bayern wichtiger, als Edmund Stoibers Verwicklungen in den LWS-Skandal oder die Verhaftung eines CSU-Schmiergeld-Amigos? Alles andere ist wichtiger, möchte man sagen, und vor allem die Boandlkramer (sprich: Boandlkramer). So nennt man dortzulande die Totengräber.
Speziell denen vom Münchner Ostfriedhof gilt derzeit das ganze öffentliche Interesse, dem Achim und dem Franz und wie sie alle heißen. Unterschriften werden in München gesammelt, als ginge es darum, die Schließung aller Biergärten zu verhindern. Die Empörung ist groß: Hat doch allen Ernstes der Leiter der Münchner Friedhofsverwaltung den Boandlkramern vom Ostfriedhof verboten, morgens im Lokalradio „Gong“ zu singen. Täglich waren sie dort kurz vor neun zu hören gewesen, als lustige Background-Singers, und wenn sie ihr „gurr, gurrrr, gurr“ zu dem Hit „Drei Weiße Tauben“ anstimmten, war der Tag für viele Zuhörer rein launemäßig gesehen gut gelaufen. Anschließend gingen der Achim und der Franz und die anderen wieder auf den Friedhof, Gräber ausheben.
Eines Tages waren sie vom Singen aber noch so lustig und fidel, dass sie die falsche Grube aushoben und die Witwe am offenen Grab sich wunderte, warum ihr Erich nicht wie vorgesehen in der Familiengruft beerdigt werde. Das war das Aus. „Fürs Singen hom's Zeit, aber fird Arbeit ned“, sagte der Chef und untersagte die Live-Auftritte im Radio.
Nun ist es in Bayern zur Gewohnheit geworden, dass nur einer „Hilfe“ rufen muss und schon ziehen zehn andere eine Unterschriftenliste aus der Tasche. Nirgendwo wird so viel unterschrieben wie in Bayern. Gegen neue Wohngebiete, gegen Schulreformen, gegen Flüsse, Berge und Atomreaktoren und gegen die Schließung der Biergärten vor elf Uhr abends sowieso.
In wenigen Stunden haben in München 12.000 Menschen unterschrieben, dass die Totengräber wieder singen sollen dürfen. So schnell, so viel hatte die CSU nicht einmal gegen die Ausländer zusammengebracht. Aber das hängt wahrscheinlich wohl wieder mit der Politik zusammen (s. o.). Jetzt dürfen die Männer vom Ostfriedhof wieder singen. Und auf dem Oktoberfest wollen sie dazu sogar auf den Tischen tanzen. Aber die Bierleichen, meine Herren, werden anderntags sauber bestattet! Philipp Maußhardt
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