■ Diepgen des Tages: Gejaule mit Niveau
Nanu? Eine Opernkritik in der Bild-Zeitung? Eine halbe Seite, vorne auf dem Berliner Lokalteil? Hat das Boulevardblatt sein Herz für die lichten Gipfel der Hochkultur entdeckt?
Mitnichten. „Oper mit schrillem Geschepper“, wettert Bild-Kritiker Wolf-Dieter Kröning, „ich bin getürmt“. Da macht Daniel Barenboims Staatsoper endlich, was sämtliche Kritiker mit Ausnahme Krönings seit Jahren fordern: Sie spielt zeitgenössische Musik, eine Uraufführung gar, das erste Bühnenwerk des amerikanischen Neutöners Elliott Carter. Und schon walzt das Zentralorgan des Volkszorns den Premierenabend nieder.
Kröning versetzt sich ins Hirn seiner leidgeprüften Leser. Ein „harter Tag“ liegt hinter ihm „vollgestopft mit Lärm“ und Bild-Lektüre. „Kommt dann der Abend“, weiß der Kritiker, „will man endlich Ruhe, Frieden, Harmonie. Wie sie Musik uns schenken kann, die große Trösterin. Der Zauber sanfter Melodie tut der Seele gut.“ Doch die Staatsoper, welch ein Skandal, befriedigt die Gelüste des werktätigen Menschen nicht. „Katzenmusik“ dringt an Krönings Ohr, „Gejaule & Getöse“ – wenn auch „auf höchstem Niveau“, wie der Kritiker gestehen muss. Und das „feine Publikum“ war, wie Kröning zähneknirschend zugibt, auch noch „vom Geschrille begeistert“. Wie ist das möglich? Ganz klar: Die Kulturschickeria „tat nur so. Man hat ja schließlich bezahlt.“
Nach der Pause stand Arnold Schönbergs Zwölfton-Folter auf dem Programm. Doch Kröning ergriff die Flucht: „Soll'n sie mich doch Banause schimpfen – ich bin entwischt. Hauptsache. Das 24 Stunden nonstop und dir zerbröselt das Hirn.“ Am Premierenabend in der Staatsoper hat offenbar schon eine Stunde gereicht. Molly Bluhm
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