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Der Kollegin auf die Schliche kommen

■ Agatha Christie ist klasse. Jedenfalls im Original. Damit das auch die deutschen Leser merken, arbeitet der Scherz-Verlag an einer Neu-Edition und stellte sie beim Dinner vor

Einen ganz persönlichen Zugang zu der großen Schriftstellerkollegin verriet bei einem Agatha-Christie-Dinner am Dienstag abend Sabine Deitmer – eine der zehn renommierten Krimi-Diven, die sich jetzt an eine Neuübersetzung der Werke der „Queen of Crime“ gewagt haben: „Agatha Christies Erfolge gründen sich eigentlich alle auf Misserfolge.“ Trotz vieler Reinfälle, so Deitmer weiter, ist die Autorin aber nie in Selbstmitleid versunken. Dass sie sich stattdessen immer wieder neue und höhere Ziele gesetzt hat und heute zu den meistverkauften AutorInnen der Welt gehört, macht Agatha Christie für die Übersetzerin und Schriftstellerin Deitmer von Jugend an zu einem großen Vorbild.

Auch zwei andere Übersetzerinnen, die an diesem von den Organisatoren der „Crime Time“ gegebenen Dinner teilnahmen, loben die große alte Dame des Krimis: Nina Schindler und Regula Venske haben jeweils einen Agatha-Christie-Roman neu ins Deutsche übersetzt und bezeichnen dies als unbezweifelten Höhepunkt ihrer Karriere. Insbesondere von der Kühnheit, mit der Agatha Christie die verstaubten Regeln und engen Konventionen des Kriminalromans gesprengt hat, wissen sie alle nur in den höchsten Tönen zu schwärmen.

Warum aber überhaupt eine Neuübertragung, da Agatha Christie doch unter den meistübersetzten AutorInnen hinter Lenin den zweiten Platz einnimmt? Auch dazu weiß Sabine Deitmer eine kleine Anekdote zu erzählen: „Früher habe ich mich immer gewundert, wenn andere mir erzählt haben, sie fänden die Sprache der Agatha-Christie-Romane schwerfällig und langweilig. Dass ich sie selbst schon immer als besonders frisch, lebendig und auch modern empfand, hatte, wie ich später bemerkte, einen ganz einfachen Grund: Ich hatte Agatha Christie immer nur im englischen Original kennengelernt. Die bislang vorliegenden Übersetzungen ins Deutsche aber waren tatsächlich reichlich schwerfällig.“

Mit der Neuedition hat sich der Scherz-Verlag deshalb das Ziel gesetzt, die Romane in einer moderneren und auch stärker differenzierenden Sprache zu veröffentlichen. Nicht Modernität um jeden Preis, sondern Authentizität und Vollständigkeit waren dabei jedoch immer die Maßstäbe. So wurde bei den bisherigen Übersetzungen beispielsweise kaum berücksichtigt, dass Agatha Christie einerseits streng zwischen den Sprachgenres der verschiedenen Gesellschaftsschichten unterschied, sich aber andererseits bei ihren zentralen Figuren, wie beispielweise dem eigenwilligen Hercule Poirot, über solche sprachlichen Konventionen ihrer Zeit auch recht großzügig hinwegsetzen konnte. Individualisierung statt Vereinheitlichung war denn auch von Anfang an die Leitlinie des Scherz-Verlages gewesen, und ihren „Heidenrespekt“ vor den Originalformulierungen Agatha Christies können alle drei Autorinnen übereinstimmend kaum genug beteuern. Trotzdem oder gerade deshalb sind manche Fragen bei der Übersetzung gar nicht so einfach zu beantworten: Wie benehmen sich Christies Figuren? Siezt der adlige Besitzer eines Herrenhauses seine junge Dienerschaft, oder benützt er das vertraulichere „du“? Oder auch: Wie behandelt man die von Agatha Christie gerne benutzten Kinderreime, wenn sich diese nur im englischen Original, nicht aber in der deutschen Übersetzung reimen und gleichzeitig bestimmte Anspielungen enthalten, die für den deutschen Leser kaum verständlich wären?

Wenn man das hört, erscheint es einem fast einfacher, selbst einen Krimi zu schreiben als die Werke dieser Autorin zu übersetzen. Regula Venske ist jedenfalls überzeugt davon, dass sich beides miteinander vereinbaren lässt: „Der Reiz bei der Übersetzung liegt für mich als Kriminalschriftstellerin natürlich gerade darin, der großen Kollegin über die Schulter schauen zu können und ihr auf die Tricks und Schliche zu kommen.“ Und vielleicht ist es erholsam, sich dabei zur Abwechslung auch mal an der Nase herumführen zu lassen, anstatt immer alle Fäden selbst in der Hand zu halten. mc

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