piwik no script img

Froher Feminismus in Papua-Neuguinea

■ Die dreisten Frauen verlassen ihre Dörfer und ziehen in die Stadt: Florence Weiss betreibt ethnologische Feldforschungen über den Alltag in den Wellblechhütten von Rabaul

Ethnologische Feldforschung ist eine merkwürdige Beschäftigung. Zumeist sind es Wissenschaftler aus der „Ersten Welt“, die in entlegene Regionen fahren, um dort andere Menschen zu erforschen, die irgendwie ganz anders leben als wir. Der Brite Nigel Barley – wenngleich in seiner Zunft nicht unumstritten – hat den „Feldforschungsbericht“ durch selbstironische Reflexionen über sein Tun als literarisches Genre rehabilitiert. Ein genialer Schachzug, der die koloniale Perspektive des forschenden „Weißen Mannes“ auf die „Wilden“ persifliert und damit den Blick frei macht für die wirklich interessanten Begebenheiten.

Florence Weiss ist eine Schweizer Ethnopsychoanalytikerin aus der Fritz-Morgenthaler-Schule, die in ihren Büchern die Entstehungsbedingungen ihrer Forschungsergebnisse ähnlich rigoros offenlegt. Die Beschreibungen der stinkenden Dusche, ihre Angst auf dem nächtlichen Heimweg, Eingeständnis der Freude an Ausflügen in europäische Cafés und Reflexionen beim Betrachten US-amerikanischer Filme machen einen großen Teil ihrer neuesten ethnologischen Erzählung „Vor dem Vulkanausbruch“ aus. Vor einigen Jahren besuchte Weiss die Iatmul, eine der zahlreichen Ethnien in Papua-Neuguinea, und schrieb mit großer Begeisterung über die „dreisten Frauen“, die sie in ihrem „Forschungsdorf“ kennen lernte. Die Iatmul-Frauen im traditionellen Dorfverbund lebten extrem emanzipiert, sie waren freiheitsliebend, gesprächig und offen für jede Form von Vergnügungen. Zusammen mit ihrem Partner und Kollegen Milan Stanek setzte Weiss nun ihre Forschungen fort. Sie wollte sehen, was sich im Leben der Iatmul-Frauen verändert, wenn sie – was viele von ihnen taten – in die Stadt ziehen.

Der etwas slumige Stadtteil Kori, ein Emigrantenviertel aus Wellblechhütten, wurde für einige Monate ihr neues Zuhause. Und wie in ihrem Buch über das Leben im Dorf erfährt Weiss dank ihrer zurückhaltenden Methode von den urbanisierten Protagonistinnen ganz erstaunliche Dinge. Zum Beispiel, dass sich viele Frauen – selbst wenn sie zehn Kinder haben – in der städtischen Umgebung oft tödlich langweilen und deswegen gerne nachts fischen gehen. Die Frauen erzählen über ihre Männer, Kinder, Missionsschwestern, Sektenführer, Geld, Ärger, Tratsch – und Anekdoten. Zum Beispiel die von Yambuin, deren Mann im Gefängnis seinen Rausch ausschlief. Aus pädagogischen Gründen ließ Yambuin ihren Gatten einen Tag länger als notwendig sitzen: „Er sagt, ich sorge schlecht für den ältesten Sohn. Das ist nicht wahr. Heute Abend hole ich ihn heraus. Er soll einen Tag lang an mich denken, dann liebt er mich wieder.“

Weiss vermeidet Verallgemeinerungen, ordnet jedoch mit ihrem klugen Blick für Details, wie etwa Klebebildern an der Wand, Puffärmeln und Bildchen auf der Persil-Packung, die jeweilige Lebensgeschichte in den Kontext der „Domestizierung“ – und wie sich ihre Protagonistinnen dagegen wehren. Die städtischen Strukturen, die neuen Arbeitsverhältnisse, die Stundenpläne der Kinder und ökonomischen Verhältnisse bedeuten einen ungleich reglementierteren Alltag. Umso bemerkenswerter, wie sich die Iatmul-Frauen durch ausufernde Marktgänge oder nachmittägliches Kartenspielen unter nicht gerade paradiesischen Umständen feministische Freiräume erhalten.

Stets präsent, wenn auch nur als finstere Bedrohung am Horizont, ist die Kriminalität in den Emigrantenvierteln. Die Zeitungen berichten fast täglich von Vergewaltigungen vorzugsweise weißer Frauen und vielen anderen Gewaltverbrechen. Ihre eigene Schutzlosigkeit mag der Grund für Weiss gewesen sein, sich mit dieser Realität nicht weiter zu beschäftigen. Man spürt, wie die verständliche Angst ihren Bewegungsradius stark einschränkt und sich ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf ihren kleinen Mikrokosmos konzentriert.

Manchmal, so wünscht man sich, hätte sie vielleicht einfach die ganze Nacht mit ihren Nachbarn durchfeiern und auch über die Stimmung nach Mitternacht schreiben sollen – statt so ausführlich die Ordnung ihrer Hefte, Tagebücher und Kameraausrüstung zu thematisieren. Doch trotz einer gewissen Betulichkeit ermöglicht ihre Erzählung eine bemerkenswerte Einsicht in das unterhaltsame Leben der Iatmul-Frauen. Deren Selbstbewusstsein, Radikalität und Schläue macht nicht zuletzt bewusst, dass Mitleid in jeder Hinsicht der falsche Weg ist, sich der Kultur eines „Dritte-Welt-Slums“ zu nähern. Dorothee Wenner ‚/B‘ Florence Weiss: „Vor dem Vulkanausbruch. Eine ethnologische Erzählung“. Fischer TB 1999. 376 Seiten, 24,90 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen