Rechtswidrige Pensionäre

■  Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) prüft umstrittene Vorruhestandsregelung für Beamte. Ein Anwalt erstattete bereits Strafanzeige gegen Innensenator Eckart Werthebach

Nach der Lektüre des Spiegel Nr. 37 griff der Rechtsanwalt Ingo Dörr spontan zum Diktiergerät und erstattete eine Strafanzeige gegen den Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU). Dass der Innensenator an einer Vorruhestandsregelung für Beamte festhält, die das Berliner Verwaltungsgericht für rechtswidrig befunden hat, ist für den Leipziger Wirtschaftsrechtler eine „Erosion des Rechtsstaates“. Und noch dazu eine „unglaubliche Verschwendung von Steuergeldern“.

Mit 55 Jahren können Beamte in Berlin in den Vorruhestand gehen, wenn ihre Stelle dadurch auf Dauer gestrichen wird. Für das Nichtstun erhalten sie immerhin 75 Prozent ihrer Bezüge. Der Staat „spart“ 25 Prozent, erhält aber auch keine Arbeitsleistung mehr. Den Schaden beziffert Dörr auf jährlich rund 25 Millionen Mark. Wegen „Untreue zu Lasten des Landes Berlin“ hat er nicht nur den Senator angezeigt, sondern auch den zuständigen Staatssekretär sowie den Abteilungs- und Referatsleiter.

Seit der Senat die so genannte 55er-Regelung im November 1996 beschloss, haben 519 Beamte von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, darunter auch mehr als eine Hundertschaft Polizisten. Der „Sonderurlaub“ geht nahtlos in den Ruhestand über.

Doch bereits im Mai hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass diese Form des faktisch vorgezogenen Ruhestandes nicht mit dem Beamtenrecht des Bundes zu vereinbaren ist.

Eine Ansicht, die Werthebach übrigens noch teilte, als er unter Innenminister Manfred Kanther (CDU) Staatssekretär im Innenministerium war. Damals hatte er „schwerwiegende rechtliche Bedenken“ gegen den Berliner Sonderweg geltend gemacht. Es handle sich „unzweifelhaft materiell um Zurruhesetzungen“. Die Berliner Regelung bedeute eine „Umgehung“ bestehender Gesetze.

Doch nach seinem Amtsantritt im November 1998 ließ Werthebach das von ihm zuvor beanstandete Verfahren weiterlaufen. Noch im Juni diesen Jahres brachte er eine Vorlage durch den Senat, wonach die umstrittene Regelung erst Ende 1999 auslaufen soll. Werthebachs Sprecherin, Isabelle Kalbitzer, erklärte gestern, es sei nicht daran gedacht, die umstrittene Regelung früher auslaufen zu lassen.

Doch in den SPD-geführten Ressorts Justiz und Finanzen liegen Anträge auf Vorruhestand mit 55 Jahren derzeit auf Eis. „Bis auf weiteres werden vorliegende Anträge nicht entschieden,“ erklärte der Sprecher der Finanzverwaltung, Dirk Wildt. Der Senat habe noch keine endgültige Entscheidung gefällt, welche Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen seien.

In der vergangenen Woche wurde eine Vorlage Werthebachs im Senat nicht beschlossen. Wie Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) gestern gegenüber der taz erklärte, prüft die Justizverwaltung derzeit, ob die umstrittene Regelung bereits vor Jahresende abgebrochen werden muss. Zwar sei die Prüfung noch nicht abgeschlossen, sagte Körting, er finde die beiden Gerichtsurteile des Verwaltungsgerichts jedoch „überzeugend“. Eine solche Vorruhestandsregelung sei im Bundesrecht nicht vorgesehen, für landesrechtliche Ergänzungen sei daher kein Raum. „Ich habe große Zweifel, ob man den Urteilen etwas entgegensetzen kann.“ Dorothee Winden