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Aids mal anders (2): Pacman auf Pille ■ Von Holger Wicht
Die gute Nachricht zuerst: Pacman lebt! Unbeeindruckt von der 3 D-animierten Pentium-III-Welt frisst das lustige runde Urgestein der Computerspiele grinsend Punkte in Labyrinthen. Aber Moment, was ist das? „Achtung!!! Unterdosierung!“, meldet ein Windows-Fenster. „Jetzt schnell ne neue Pille holen, sonst sind gleich alle Punkte weg.“ Und rechts warnt eine rote Anzeige: „Pillenalarm!“ Das gelbe Grinsegesicht wird grün. Das ist die schlechte Nachricht: Pacman ist HIV-infiziert. Wenn er nicht regelmäßig seine Pille schluckt, bekommt er Aids – Game over. Eine geschmacklose Vorstellung? Nein, Realität: www.haart.net/haart/info/info.htm.
HAART bedeutet „Hoch aktive anti-retrovirale Therapie“, und die Webpage gehört dem Pharmakonzern Roche. Der Multi hat diverse Anti-HIV-Substanzen auf dem lukrativen Markt und will mit dem Punktefresser im Konkurrenzkampf um die Pillenschlucker Sympathiepunkte sammeln. Die Message des Aids-updated Game-Klassikers im Klartext gibt's auf einem Beipackzettel per „Info“-Klick: Die Therapie hemme die Neubildung von Viren, das Immunsystem werde gestärkt, der Körper könne besser mit der HIV-Infektion fertig werden. Pacman grinst. Aber Achtung: „Ist die Wirkstoffmenge zu gering, ist eine Therapie nicht wirksam: HIV vermehrt sich dann ungehemmt.“
Pacman grün. Pillenalarm! Also rein mit dem Zeug, getreu der Aufforderung am unteren Bildrand, die sich liest wie ein Auszug aus einem Karriereberater für chronisch Kranke: „Und jetzt: Punkte sammeln und Pille nicht vergessen ...“ Natürlich vergisst der Neuling die Pille vor lauter Punktesammeln. Und natürlich lernt er dazu: Vor lauter Aids vorsichtig geworden, holt er sich Pille um Pille. Auch wieder falsch: „Achtung!!! Überdosierung!“ Pacman ergrünt, erstarrt zur Grimasse, hilflos ausgeliefert den Angriffen von Mäusen, Piranhas und kleinen grünen Männchen. Info: „Die Wirkstoffkonzentration darf aber auch nicht zu hoch sein, da es sonst vermehrt zu Nebenwirkungen kommt. Also deshalb: die Medikamente regelmäßig so einnehmen, wie es Arzt und Hersteller empfehlen.“ Didaktik-Taktik, ick hör dir trapsen.
Pacman heißt jetzt übrigens Compli-Man, denn Therapietreue heißt auf englisch Compliance. Tatsächlich muss man sich für den Therapieerfolg strikt an die Einnahmevorschriften halten. Toll: Der Compli-Man kennt keine Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Durchfall, Leberschäden. Und im Gegensatz zu vielen realen HIV-Patienten findet er die Arznei auch nicht zum Kotzen.
Klassenziel erreicht: Routiniert lässt der Spieler den Smiley seine Bahnen ziehen. Im Fenster nebenan informiert er sich mittels einer Grafik über den Wirkstoff im Blut, wird gewarnt, wenn's knapp wird, schnappt seine Pillen, Schatztruhen, Äpfel und vierblättrige Kleeblätter. Glück muss der Mensch haben, Obst essen auch, und seine Medizin muss er nehmen – dann ist das Leben mit HIV ein Kinderspiel. Roche sei Dank haben Aidskranke nun immerhin schon virtuell zahlreiche Leben, und nach dem Exitus klickt man halt auf Start, um neu zu beginnen. Ist also gar nicht so schlimm, wenn es lakonisch heißt: „Pillenalarm vernachlässigt! Spiel beendet.“
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