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■ Verwandte Elitemodelle: Sloterdijk träumt von der Zähmung der Menschheit, Ratzinger vom Erziehungsmonopol der KircheDer Philosoph und der Kardinal

Gegen Sloterdijks autoritäre Ideengebäude hilft Kant: Selber denken!

Die Kardinäle Ratzinger und Meisner und Bischof Dyba sind nicht allein in ihrem Kampf gegen den Zerfall der Sitten. Der heidnische Philosoph Peter Sloterdijk, obwohl kein Befürworter ihres Kreuzzugs gegen die Abtreibung, teilt die Sorge der Kirchenmänner um eine drohende ethische Dekadenz der Menschheit. In seinem kontroversen Elmauer Vortrag diagnostiziert Sloterdijk „Verwilderungstendenzen, sei es als unmittelbare kriegerische und imperiale Rohheit, sei es als alltägliche Bestialisierung der Menschen in den Medien enthemmender Unterhaltung“. Er stilisiert zum „Titanenkampf“ die „fortwährende Schlacht um den Menschen, die sich als Ringen zwischen bestialisierenden und zähmenden Tendenzen vollzieht“.

Solch apokalyptisches Pathos fehlt der gemächlicheren römischen Kurie, aber Ratzinger denkt im Grunde dasselbe. Aus diesem gemeinsamen Misstrauen in die Menschlichkeit gewöhnlicher Menschen zieht der Philosoph eine Konsequenz, die auch der Kardinal teilen würde: Es sei „unerlässlich, den Menschen die richtige Art von Beinflussungen zukommen zu lassen“, seitens erziehender, ja züchtender Instanzen.

Auf diesem Gebiet sind der Philosoph und der Kardinal Konkurrenten. Gerade weil beide mit einem ähnlichen autoritären und elitären Modell liebäugeln – nur wenigen Hirten gehört das Wissen um das Wohl der menschlichen Herde –, machen sie sich die pastoralen Epauletten streitig. Das Rezept Ratzingers stand auf der Titelseite des Osservatore Romano: „Extra ecclesiam nulla salus“, es gibt kein Heil außerhalb der Kirche. Gott allein entscheidet über Geburt und Nichtgeburt. Auf dieser Ohnmacht der Menschen gründet die Macht der Kirche. Jede Abtreibung, ja jede „künstliche“ Technik der Empfängnisverhütung ist ein direkter Angriff gegen die Macht der Kirche, den einzigen Damm gegen die „Bestialisierung“: Nur an der Leine kann der Mensch Mensch bleiben.

Für Sloterdijk haben sich die Götter längst zurückgezogen und der Menschheit die Sorge überlassen, sich selbst zu hüten. Eine eindeutige Strategie für die „gattungspolitische Entscheidung“ der Zukunft hat der Karlsruher Professor – wie schon vor ihm Nietzsche – glücklicherweise nicht, und er gibt das gerne zu: Auf dem Feld der „Menschenproduktion“, dank „intimer Verschränkung von Züchtung, Zähmung und Erziehung“, ist „mehr als Andeutendes weder möglich noch statthaft“. Ob „die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird – ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können“, dies sind Fragen, die Sloterdijk nicht beantworten kann.

Mehrere aufgebrachte Kritiker sind voll in die Falle des tabubrechendes Gestus Sloterdijks getappt und haben ihm „Züge faschistischer Rhetorik“ vorgeworfen. Weit gefehlt: Bei Sloterdijk stört eher das Mystereosophische und Priesterhafte. Jene Fragen werden übrigens nicht von Sloterdijk gestellt: Sie stecken objektiv im erschreckenden – ja faschistischen – Potenzial der Biotechnik.

Der wunde Punkt liegt woanders. Wem will der deutsche Professor die Entscheidung überlassen? Den „kulturellen Hauptfraktionen“, eventuell in Gestalt von Ethikkommissionen, die über die tendenziell bestialische gewöhnliche Menschheit wachen müssen. Hier entpuppt sich der Möchtegern-Antiratzinger Sloterdijk als Ultraratzinger. So wie der Kardinal auf das Überwachungsamt seiner Kirche pocht, so baut der Professor auf die Weitsicht der belesenen Eliten. Bloß nicht den einzelnen konkreten Menschen entscheiden zu lassen, geschweige denn die konkrete Frau.

Die gemeinsame Wurzel dieser elitären Grundhaltung bei Ratzinger und Sloterdijk lässt sich bis Platon zurückverfolgen, genauer bis zu seinem Mythos des geflügelten Zweiradwagens. Da sitzt der Mensch, gezogen von zwei Pferden. Das weiße Pferd (der „zähmende Impuls“) strebt nach oben, wird aber vom schwarzen Pferd (der „bestialisierende Impuls“) nach unten mitgerissen. Im irdischen Schlamassel gelandet, kann der Mensch sich schließlich seiner selbst nur mühsam wieder erinnern. Dabei hilft ihm die Erziehung durch Philosophen (bei Ratzinger: Priester), die noch eine Ahnung der ideellen Welt haben.

Unter dieser Prämisse kann die Geschichte der Menschwerdung in Lichte der Humanitas, so wie sie Sloterdijk erzählt, nur zur tragischen Karikatur geraten. Der ewige Kampf Hirten, Präzeptoren und Professoren um die Zähmung der Menschen musste vergeblich sein. Während Ratzinger wenigstens auf Hilfe von oben hoffen kann, muss Sloterdijk verzweifeln. Statt seine schwierigen Bücher zu lesen, starren Menschen auf die „Medien enthemmender Unterhaltung“. Igitt.

Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Sloterdijk, der Nietzsche gut kennt, weiß, dass es neben dem Lesen auch das brutale Auslesen gab und gibt. Nicht nur die Nazis haben gemordet in der Wahnvorstellung, eine „bessere“ Menschheit zu züchten. Die „ethnischen Säuberungen“ nehmen kein Ende. Und auch die Kirche hat kräftig Unchristen ausgerottet, bei den Indios angefangen. Nur: Bei Sloterdijk haben wir immer mit „Eliten“ zu tun, Machteliten neben oder hinter oder gegen Kultureliten. Die wenigen sind, im Guten wie im Bösen, Subjekte. Die meisten werden Objekte bleiben.

War das wirklich so? Oder sind vielleicht die Menschen nur insoweit zu Menschen geworden, als sie sich gegen Hirten, Priester, Präzeptoren, Professoren, eventuell auch Ethikkommissionen und Beratungsstellen, als Subjekte behauptet haben? Mit Kant gesprochen: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.

Ratzinger kann auf Hilfe von oben hoffen, Sloterdijk muss verzweifeln

Die Wechselwirkung Sloterdijk – Ratzinger ist nicht zu unterschätzen. Je unvorsichtiger über die Gestaltung des Menschenparks fantasiert wird, desto schriller der Schrei nach gesetzlichem Schutz der Embryonen. Man ist versucht, den Teufel Sloterdijk mit dem Beelzebub Ratzinger auszutreiben. Oder mit Beratungsstellen (jetzt ohne die Ratzingers) und Ethikkommissionen (wo die Ratzingers neben den Sloterdijks sitzen können).

Es geht nicht nur um Abtreibung. Aber sie bleibt ein Knoten im Kampf zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Der Ausweg aus der Zwickmühle zwischen entgegengesetzten, aber gleich arroganten, entmündigenden, „übermenschlichen“ Rezepten kann nur eine menschliche Lösung sein: Lasst die Frauen entscheiden und ein bisschen auch ihre Männer. Sie können in ihrem Einzelfall irren. Die ganze Menschheit zu entmündigen vermögen sie aber nicht.

Guido Ambrosino

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