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Worte wider Recht und Staat

■ Berufungsverhandlung gegen Rot-Floristen, der von Richter Schill wegen Sprechens zu 15 Monaten Haft verurteilt wurde

Richter Ronald Schill, so deutete er jüngst an, will nun auch per Parteibuch in die Politik. Dass er nichts anderes als Politik schon seit Monaten betreibt, befand gestern Andreas B. vor dem Landgericht. Dort saß der Aktivist aus dem Stadtteilzentrum Rote Flora in der Berufungsinstanz.

Schill hatte ihn im Mai zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er im Schanzenviertel Polizisten bei der Passkontrolle mutmaßlicher Drogendealer behindert haben soll. Und weil für Schill, so Andreas B., „auf Mitgliedschaft in der Roten Flora 15 Monate Haft stehen“. Damals hatte der umstrittene Amtsrichter ihm wohlgesonnene JournalistInnen eigens telefonisch einbestellt zu dem Prozess gegen „den Chaoten“, wie er später in seinem Urteil schreiben sollte.

Richter Hartmut Loth hingegen zeigte gestern Interesse nicht allein an dem politischen Engagement von Andreas B., sondern erkundigte sich nach einem Kurs an der Volkshochschule, den dieser einmal angeboten hatte. Zwar runzelte auch Loth missbilligend die Stirn über Unmutsäußerungen aus dem Publikum, und er gab die Warnung zu Protoll, dass er ZuschauerInnen rauswerfen und gar in Ordnungshaft stecken könnte. Daran, schickte er hinterher, habe er indes keinerlei Interesse. Schill hatte zwei Prozessbeobachter festnehmen lassen – weil sie bei der Urteilsverkündung in seinen Augen nicht aufrecht genug gestanden hatten.

So saßen die beiden Zuschauer fast drei Tage im Gefängnis, gegen Schill läuft eine Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung und das alles, weil Andreas B. an jenem Tag im Februar zu einem Polizisten gesagt haben soll: „Jetzt ist hier Schluss mit Platzverweisen.“ Damals war der Beamte Matthias H. mit zwei KollegInnen vor der Roten Flora unterwegs „zur Bekämpfung der Drogenszene“, wie er vor Gericht bekundete. Als er die Personalien von zwei Männern überprüfte, sei er plötzlich von 15 bis 20 Personen umringt gewesen. Man habe ihm erklärt, nun sei „Schluss mit Platzverweisen“, er habe die Ausweise zurückzugeben, „sonst gibt es hier mächtig Ärger“. Andreas B. sei „der Rädelsführer“ gewesen. „Freundlich“, sagte H., „war das nicht“.

Aber verbal. Und wenn Worte an Polizisten „über die Sinnhaftigkeit ihres Handelns mit Strafe geahndet werden, ist es nicht weit her mit der Konfliktfähigkeit der Hamburger Polizei“, resümierte gestern Andreas B. Für Schill indes hatte die „Gefährdung des Rechtsstaates“ zur Verhandlung gestanden.

Ob die auch Richter Loth wittert, wird sich voraussichtlich heute zeigen, wenn das Urteil verkündet wird. Elke Spanner

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