: Der Vortrag als Performance
■ Referate sind öde. Sie werden runtergerasselt. Der Bremer Student Fahim Sobat zeigt, wie es anders geht: Er spielt seine Referate und macht sie zu irritierenden Experimenten
Referate werden abgelesen, runtergerasselt. Ein Vortrag nach dem anderen. Hängen bleibt vom Thema selten etwas. Der Bremer Student Fahim Sobat vermisst bei vielen Referaten ein „wahres Interesse daran, den Inhalt zu vermitteln“. Mit einer Mischung aus Performance und Referat will er deshalb „inhaltlich Spuren hinterlassen“.
Wie kann ich an den festgefahrenen Strukturen etwas verändern? Das war der Ausgangspunkt von Sobats Experimenten. Das Ziel: In den Seminaren nicht nur Routine abspulen, sondern etwas „Neues entstehen zu lassen“.
Der Soziologie-Student kombiniert daher Performance und Referat. So will er theaterpraktisches Handeln mit wissenschaftlichem Inhalt verbinden. Mit Performance meint Sobat, dass „ich das, worüber ich rede, auch gleichzeitig tue“. Für jedes Referate erarbeitet er sich ein dramaturgisches Konzept, das für Improvisationen Freiraum lässt.
Seit 1995 ist Sobat beim „Theater der Versammlung“. Die Bremer Versuchsbühne zwischen Bildung, Wissenschaft und Kunst greift mit szenischen Aktionen in die Praxis der Universität ein. Dort hat Sobat seine Referatexperimente entwickelt. Jetzt hat er seine Erfahrungen ausgewertet. Mit den Ergebnissen bewarb sich Fahim Sobat für den Deutschen Studienpreis zum Thema „Risiko! – Der Umgang mit Sicherheit, Chance und Wagnis“.
Zu viele Referate setzen auf Sicherheit, auf eine feste, eingespielte Atmosphäre und ein traditionelles Konzept, kritisiert Sobat. In seinen Experimenten untersucht er das Thema Sicherheit in Vorträgen und Referaten. Er versucht Atmosphären zu verändern, mit Grenzen zu spielen, zu irritieren. Die Möglichkeit zu scheitern inbegriffen. Zum Beispiel baut Sobat bei seinen Referaten Fehler ein, oder er hält spontan einen Moment inne. Der Effekt: Studierende und Professoren sind aufmerksamer. Hören zu. „Ich will diese Wachheit“, sagt Sobat. Denn nur dann bliebe auch vom Inhalt etwas hängen.
In einem Seminar über „Soziologische Theorien der Moderne“ versuchte Sobat zum Beispiel, alle Sinne anzusprechen, Phantasie zu wecken. Mitten im Vortrag über „Moderne Zeit und Raum“ ging Sobat plötzlich raus. Über Kassette lief sein Referat weiter.
Sobats Abgang aus dem Seminarraum war gut inszeniert. Er referierte über Anthony Giddens' Entbettungsmechanismen, gleichzeitig führte das Tonband den Entbettungsmechanismus gerade vor, den Mechanismus, der die sozialen Tätigkeiten aus der Abhängigkeit des Ortes entankert. Zuvor hatte Sobat Anrufbeantworternachrichten aus seinem sozialen Umfeld aufgenommen. Beim Vortrag spulte er sie ab. Man hörte, dass ein Optiker ihm mitteilte, er könne die neue Brille abholen. Dann erklang eine Frauenstimme. Sie verwies auf die „schöne Nacht gestern“ und erinnerte den Studenten an die Verabredung um elf Uhr. Das war das Stichwort: Es war kurz vor elf Uhr. Sobat verließ das Seminar – das Band hatte ihm „einen emotionalen Grund geliefert“, rauszugehen. Studierende und Profs waren schlagartig hellwach: „Was passiert denn hier“, fragte der Professor verduzt. Nur ein paar Minuten war Sobat draußen – die Zeit erschien endlos lang. Eine Studentin sagte Sobat später, sie wäre am liebsten hinterher gelaufen: Zu gern hätte sie sehen wollen, ob er die Frau traf.
Erst als das Band endete, kam Sobat wieder rein. Knöpfte langsam und wortlos sein Hemd zu, setzte sich eine andere Brille auf, bot keine Erklärung für sein Verschwinden und fuhr fort, über „Zeit und Raum in der Moderne“ zu referieren.
Sobat wollte damit Assoziationen an die Sprüche vom Band wecken: „Phantasie freisetzen“. Von Applaus bis Kritik reichte die Resonanz auf Sobats Experiment. Manchmal hinterlässt es beeindruckende Spuren: Einen Studenten traf er ein halbes Jahr später in der Kneipe – „und der konnte sich noch an den Inhalt erinnern“. pipe
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