■ Standbild: 2.500 Jahre Infamie
„Mobbing“, Dienstag, 20.15 Uhr, 3sat
Damals, als die Welt noch in Ordnung war und der Fernseher nach der „Sesamstraße“ noch ungefähr fünf Minuten weiterlief, bevor das Zuschauen langweilig wurde, begann da nicht jede Lektion des „Telekollegs“ irgendwie mit den Worten Die Ägäis; im Südwesten liegt die Insel Kos. Hier wurde im Jahre 460 v. Chr. Hippokrates, der Urvater der Medizin, geboren. Er lehrte im Asklepieion, dem Heiligtum des Gottes der Heilkunst, und beschäftigte sich mit zahlreichen Fragen der Medizin, darunter auch mit der Psyche des Menschen. Seine großen Erfolge erweckten Missgunst; Hippokrates wurde zweimal zu Unrecht angeklagt: er hätte Schriften verbrannt, um seinen Namen größer erscheinen zu lassen. Bis heute hat sich daran nichts geändert; das Böse begleitet den Menschen. Nur ein neuer Begriff für alte Verhaltensweisen bezeichnet die moderne Kriegsführung in der Arbeitswelt ...? Und untermalten damals nicht griechische Folkloreklänge, eine Hippokrates-Büste bzw. ein modernes Bürohochhaus das ausgewachsene Wiesoweshalbwarum?
Nein, derart bebildert und vertont begann eine total österreichische Doku, bloß weil der (O-Ton: „heuer verstorbene“) Arbeitspsychologe und Wortdesigner Heinz Leymann, kurz nachdem die Welt noch in Ordnung war, das „Mobbing“ erfand. Mobbing-Opfer Nr. 1, Hippokrates, kam heuer nicht zu Wort, dafür aber „Magister K. aus Orth a.d. Donau“ und eine Menge österreichischer Experten wie die Stellvertretende Vorsitzende der GÖD Christine Gubitzer, Sozialministerin Hostasch, Dr. Karazman, Dr. Niedl, Prof. Roland Girtler u.v.a.m.; und wo immer das (ja, ja, auch volkswirtschaftlich bedenkliche) „Phänomen“ partout nicht anschaulich wurde, mussten kläglich nachgestellte Szenen herhalten.
Außerdem gab's eine Menge Infos, wieso und weshalb gemobbt werde – und warum Gemobbte wie Holocaust-Opfer sind. Man muss schon verdammt betroffen sein, um länger als fünf Minuten zugeschaut zu haben.
Christoph Schultheis
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