Römische Spionen-Posse

■ Wer steht denn im „Mitrokin-Archiv“?

Rom (taz) – Italiens Regierungschef Massimo D'Alema gibt sich erstaunt: Absolut unverständlich sei es, wenn Opposition und Öffentlichkeit die Herausgabe einer Liste von mutmaßlich gut 250 Namen hochgestellter Persönlichkeiten verlangen, die angeblich für den sowjetischen Geheimdienst KGB spioniert hatten. „Das Verzeichnis haben die Staatsanwälte“, sagt D'Alema, „und dort unterliegt es dem Ermittlungsgeheimnis.“ Es geht um das „Mitrokin-Archiv“, angeblich rund 80.000 Seiten stark, das ein sowjetischer Top-Überläufer Mitte der 90er-Jahre dem britischen Geheimdienst übergeben hatte. So wenig Furore das Archiv in anderen Ländern machte, so gut gelingt es nun Italiens Regierung mit allerhand Tolpatschigkeiten einen wirklichen Skandal zu produzieren. Angeblich war das Archiv schon 1996 beim italienischen Geheimdienst SISMI gelandet. Der damalige Verteidigungsminister Beniamino Andreatta erklärt, die damaligen Regierungschefs, zuerst Lamberto Dini, heute Außenminister, danach Romano Prodi, heute Chef der EU-Kommission, informiert zu haben. Die aber leugnen, jemals etwas von einem Mitrokin gehört zu haben. Ehemalige Geheimdienstchefs sagen, das Archiv sei in ihren Augen so dürftig gewesen, daß man keinen Anlaß zu weiteren Maßnahmen gesehen habe.

Dank der offiziellen Geheimnistuerei wird nun öffentlich spekuliert, daß auch Kabinettsmitglieder auf der Liste stünden. Morgen soll es eine Regierungserklärung im Parlament geben. Aber die Gerüchte werden weiter wuchern: die Staatsanwälte haben bereits erklärt, das Ganze sei „sehr sehr schwierig“: Das Dossier sei ja in englischer Sprache herübergekommen – „und unser Englisch ist nicht das Beste.“ Werner Raith