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Eine Schande für die SPD

■  Die SPD weigert sich, die verheerende Wahlniederlage als solche zu akzeptieren. Die beiden Verantwortlichen für das Desaster, Momper und Strieder, ergehen sich im „Weiter so“ und steuern auf die dritte Große Koalition zu

Berlin hat am Sonntag gewählt. Dass Wahltag war, haben die Sozialdemokraten allerdings bis jetzt nicht gemerkt. Kaum flimmerten die unrühmlichen 22,4 Prozent über die Mattscheibe, müssen sich der Spitzenkandidat Walter Momper und seine Mitstreiter sowie Mitglieder der Bundespartei rosarote Brillen aufgesetzt haben. Wie sonst wären die Urteile der SPD über die Wahlentscheidung möglich, deren verharmloseste Fassungen gestern ausgerechnet der Spitzenkandidat und der designierte Generalsekretär Franz Müntefering abgab. „Ich mache weiter“, drohte Momper. Man sei „aus dem Tiefsten raus“, legte Müntefering nach. Der Negativtrend der SPD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen „ist gestoppt“.

Weil anscheinend in der Partei niemand wahrhaben will, dass es nicht aus dem Tiefsten raus-, sondern weiter reingeht, hat sich Egon Bahr als Kassandra betätigt. Das Wahlergebnis sei „eine Schande für die Berliner Sozialdemokraten“, sagte er in der Sendung „Sabine Christiansen“.

Bahr hatte mit 61 Prozent SPD-Stimmen in den sechziger Jahren den Siegestaumel der Partei erlebt, aber selbst da keine noch so feisten Begehrlichkeiten auf ein blindes „Weiter so“ festgestellt. Darum ärgerte er sich schwarz: über das schlechte Wahlergebnis und die schändliche Ignoranz der Momper/Strieder/Böger/Fugmann-SPD, sich endlich an die eigene Nase zu fassen. In der Tat geschieht nichts dergleichen. Walter Momper, der Verlierer der Wahl und auf der politischen Unterhaltungswertskala ganz unten, will im nächsten Landtag sein Mandat wahrnehmen und kokettiert zugleich mit Ambitionen auf einen Senatorenposten – ein in der SPD kein unbekanntes Spiel, übernahm doch Ingrid Stahmer nach ihrerm Wahldesaster im Jahr 1995 das Amt der Schulsenatorin. Die SPD verhält sich nicht nur „ignorant“ und „ist von den Problemen der Arbeitswelt weit entfernt“, wie DGB-Landeschef Dieter Scholz gestern spottete. Sie hat auch die Moral politischer Verantwortung aus den Augen verloren.

Wie sonst wäre zu verstehen, dass sich neben Momper nun die Parteispitze auf den Weg macht, sich weiter als Juniorpartner der CDU für eine Große Koalition anzubiedern. Statt der Einsicht, nach einem schlechten Wahlkampf und der Niederlage am Sonntag über personelle sowie politische Alternativen nachzudenken, tritt man die Flucht nach vorn an.

Damit das Spiel mit der CDU nicht so auffällt, betreibt Parteichef Stieder ein wenig Mummenschanz und tut scheinheilig so, als würde die Partei im Diskurs nach neuen Profilen und auch Köpfen suchen. Dass es „nicht weitergehen kann wie bisher in der Großen Koalition“, wie SPD-Sprecher Frank Zimmermann sagte, ist vielleicht gut gemeint. Aber eben nur das. Denn erstens kann die SPD als Sozius der CDU gar nicht anders als bisher mittun. Und zweitens will sie auch nichts anderes als die Mitverantwortung in der Regierung.

Deshalb dienen alle frommen Wünsche von Peter Strieder nur ihm selbst und den Großkopferten der Partei. „Wir werden bewerten müssen, ob die Mitarbeit in der Koalition uns gut tut“, erklärte der Senator, der nichts lieber täte, als Bausenator zu werden. Und auch Fraktionschef Klaus Böger sieht sich und seine Abgeordneten nicht als Fehlbesetzung, sondern als Vermittlungsproblem.

Die Partei habe Defizite in der Außendarstellung, betonte Böger, der außerdem vor weiterem Streit und damit vor möglichen Erruptionen innerhalb der Partei warnt. Ausreißer haben keine Chance, lautet die Botschaft. Seid nett zueinander, könnte man auch sagen, nett zur CDU, zu den Parteibonzen, nett zu Walter, der sich angestrengt hat.

Was schadet, ist Streit oder der Gang in die Opposition. Denn, so Böger gestern, „eine Familie, wo man immer die Sorge haben muss, dass sie sich streitet, besucht man nicht zum Kaffetrinken“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Rolf Lautenschläger

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