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Thumb und Thumber

■ Die großen Deutschen (4): Wolfgang & Wolfgang im Land der Raketenwürmer

Die Welt ist kleiner geworden. Manchmal scheint es, als habe sie sich verdichtet auf das Studio B des WDR, in dem die alles andere als siamesischen Namenszwillinge Wolfgang Back und Wolfgang Rudolph ihren „Computerclub“ zelebrieren. Nachts sind alle Tasten moll, und die Moderatoren im Computerclubheim zollen Tribut.

Mit schöner Regelmäßigkeit trinken sie sich vor der Sendung einen Lallus an. Aus Spaß oder aus Melancholie über die Kälte des Siliziums, das Desinteresse der Apparatur und die Künstlichkeit der Intelligenz. Wie gut für uns, dass es in ihrer beider Hirnchassis noch munter organisch drunter-, seltener drübergeht. Wie schreibt Back treffend über den Umgang mit seinem Lieblingsprogramm: „Die Speicherung der Töne in den Sprachchip ist auch nicht ganz trivial.“ Ganz sicher nicht, denn mit „Lallus“ kann man jetzt Amiga-Nostalgiker in aller Welt anrufen, ohne sich mit Telefonen herumärgern zu müssen.

Wie das? Na, „compilieren und los gehts!“ Manchmal spürt man sich jedoch auch an den stärksten Polen des Weltwesens. Wolfgang & Wolfgang orten die Clubgenesis am Siedepunkt kalter Rechnerhirne: „Und dennoch war hier etwas geschehen, was es noch nie in der Menschheitsgeschichte gab: Das technisch am höchsten stehende Gut, was die Menschheit produzieren konnte, wurde für eine große Öffentlichkeit bezahlbar. In den Zeiten, als Dampflokomotiven noch als Supertechnik galten, war die Erfüllung des Traums von einer eigenen Lokomotive unvorstellbar.“ Lokomotivführer sind wir glücklicherweise alle geworden; nur der Umgang mit Feindfreund PC erzwingt messerscharfe Medienkompetenz.

Gefährlich werden können allerdings technische Versuche in Live-Atmosphäre. Jedem Pol einer Schnittstelle widmet Rudolph meditative Einstellungen von grünschimmernden Leiterbahngrafiken und gibt mit bräunlichen Rechnerfossilen einen Ausblick in den computerisierten Alltag vergangener Tage. Man sollte genau wissen, was in diesen Geräten passierte. Und für den Notfall eine Haarnadel bei sich haben, Kupplung langsam kommen lassen. Nur ein digital gemanagtes ruckeliges Bildtelefongespräch vom einen Ende des Tisches zum anderen kann aus dieser brenzligen Situation befreien.

Auch bei Back gesunde Neugier und spielerischer Umgang mit Technik: „Die Leuchtdiode muss nun leuchten und ausgehen. Ach so, was ich ganz vergessen habe: Der DTMF-Transceiver macht manchmal beim Einschalten ein riesiges Pfeifkonzert. Woran das liegt, weiß keiner so genau. Lautstärke runterregeln!“

Zum symbolischen Akt in der Clubgeschichte musste die „ComputerNacht“ am 5. Dezember 1998 geraten. Die Bits&Bytes-Beamten verkörperten darin souverän eine Art schizophrenen Gottschalk, umringt von raumfüllenden Computertürmen, die einige nicht minder Verrückte zum „größten Linux-Cluster“ vernetzten. Aber auch die im Verborgenen arbeitende Amiga-Gemeinde erblickte spätnachts in Petro Tyschtschenko von „Amiga International“ eine Führungspersönlichkeit, über die ernsthaft nachgedacht werden musste. So kommentiert man heute mit mildem Spott die Zeiten, da man noch nicht am selben Tisch telefonierte. „Wo sollte man sich seine Informationen herholen, wo bekam man Grundsätzliches erklärt, wo konnte man sehen, welche kleinen intelligenten Maschinen auf dem Markt sind? Hier war der Computerclub das Medium, das in Bild und Ton monatlich Auskunft gab.“

Desiderata an die Redaktion: Sitzkissen für den Computertischstuhl (bitte geeignete Firmenvertreter einladen, die unabhängig voneinander informieren!); Was ist Giga-TV?; Computerclub Classic – Bildtelefone und ISDN; Visual Basic einmal anschaulich; Lallus für Fortgeschrittene.

Daniel Hermsdorf/

Benjamin Heßler

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