: Landschaft, abgetaucht
Big Mac mit Alpenpanorama: Wie die CSU, sonst Fürsprecherin der Heimatpflege, Multikulti propagierte ■ Von Gerhard Fitzthum
Ländliche Idyllen sind selten geworden. Man merkt das spätestens, wenn man fotografiert. Die Hauptarbeit besteht längst nicht mehr in der Auswahl des richtigen Lichts, sondern in der Suche nach einem Standort, an dem keine Hochspannungsleitung das Bild zerschneidet, kein Baukran den Himmel teilt, keine Neubausiedlung aus der Bildecke wuchert. Die entsprechende Entwertung droht nun einer der meistfotografierten Bilderbuchlandschaften Oberbayerns: Es ist das pastorale Stillleben, das man am Irschenberg, dem höchsten Autobahnpunkt Deutschlands, erblickt. Just an diesem bekannten Aussichtspunkt soll nun, direkt neben der bereits bestehenden Autobahnraststätte, ein Mc Donald's-Schnellrestaurant mit Drive-In-Spur und nächtlicher Leuchtreklame entstehen.
Der Hamburger-Konzern war vor zwei Jahren an die Gemeinde Irschenberg herangetreten und dort sogleich auf offene Ohren gestoßen. Es winkten Gewerbesteuereinnahmen, einige Dutzend Arbeitsplätze und sicher auch ein gutes Grundstücksgeschäft. Der Bebauungsplan wurde Ende letzten Jahres ohne Raumordungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt. Die übergeordneten Behörden drückten ein Auge zu. Außerdem sei die Genehmigung „mit schriftlicher Zustimmung des Ministerpräsidenten“ erteilt worden, so Bürgermeister Quirin Höß. Edmund Stoiber dementierte dies wenig später.
Die wirtschaftliche Notsituation der Gemeinde, auf die sich das Gemeindeoberhaupt beruft, nimmt ihm vor Ort kaum jemand ab. Mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von gerade einmal 71 Mark steht die Kommune sogar ausgezeichnet da, die durchschnittliche Verschuldung beträgt im Landkreis Miesbach immerhin das Zwanzigfache. Auch auf einen der berüchtigten Billigjobs von Mc Donald's ist rund um Irschenberg kaum jemand scharf.
So hagelte es ungeahnt scharfe Kritik aus der Bevölkerung. 164 Einwohner unterschrieben einen Protestbrief an den Bürgermeister, und beim Bayerischen Landtag gingen sechs Petitionen ein, die das Vorhaben kategorisch ablehnten, eine davon vom Bund Naturschutz, eine andere vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. Auch Kreisbaumeister, Landesamt für Denkmalpflege und Architektenkammer sprachen sich eindeutig gegen die Pläne aus. Die Ikone Bayerns dürfe nicht „den Raffkes hingegeben“ werden, wurde argumentiert. Der sechs Millionen Mark teure Neubau auf dem eiszeitlichen Moränenhügel zerstöre das malerische Landschaftsbild, das nicht nur von einem Alpenpanorama vom Wildem Kaiser bis zur Zugspitze, sondern auch weiträumig durch das Ensemble der Wallfahrtskirche Wilparting geprägt werde.
Die Einwände der Kritiker beziehen sich vor allem auf die Tatsache, dass der Irschenberg im Regionalplan als „landschaftliches Vorbehaltsgebiet“ ausgewiesen ist, in dem „die Landschaft und das Ortsbild prägende Strukturen wie Hangkanten, Steilhänge und Kuppen grundsätzlich von der Bebauung freigehalten werden sollen“.
Dass Kommunalpolitiker und Naturschützer bei Großprojekten der Außenbereichsbebauung aneinander geraten, ist natürlich nichts Besonderes. Im Münchner Parlament kam es jedoch zu einer bemerkenswerten Umkehrung der weltanschaulichen Fronten: Die traditionell „linken“ Parteien SPD und Grüne nahmen die Rolle der Heimatschützer ein und verteufelten den geplanten Eingriff als Sakrileg, die allein regierende CSU, die sich in Sachen Heimat- und Brauchtumspflege ansonsten für allein zuständig hält, gab sich dagegen weltoffen und progressiv: „Freuen wir uns doch über Multikulti auf dem Irschenberg“, hieß es während der Sitzung des Umweltausschusses des Bayerischen Landtages, in der die Petitionen auf der Tagesordnung standen. Argumentiert wurde aber auch damit, dass das Großunternehmen immerhin dreißig Prozent der bayerischen Rindfleischerzeugung abnehme, man also nicht so kleinlich sein könne.
Die Kontroverse macht zweierlei deutlich: Einmal, dass das ästhetische Argument in der Umweltdiskussion inzwischen genauso gesellschaftsfähig geworden ist wie das ökologische, die Berührungsängste gegenüber traditionell wertkonservativen Heimatschutzpositionen also endgültig der Vergangenheit angehören. Die ästhetische Kritik an der „Verschandelung“ der Landschaft entstammt schließlich der heimatbewegten Zivilisationskritik der Jahrhundertwende, was sie in sich als „fortschrittlich“ verstehenden Kreisen lange Zeit als rückwärtsgewandt erscheinen ließ.
Zum anderen wird deutlich, dass Heimatsschutz heute wie damals ganz schnell zur Leerformel wird, wenn handfeste wirtschaftliche Interessen dagegen stehen. Die CSU weigerte sich in der besagten Sitzung, das von der Opposition geforderte Raumordnungsverfahren einzuleiten, durch das man das Projekt im letzten Moment noch hätte stoppen können, und erklärte die Petitionen damit als erledigt. Hoffnung sahen die Kritiker aus Irschenberg, von denen einige per Post Morddrohungen erhalten hatten, aber in der Tatsache, dass die Gemeinde wegen Verfahrensfehlern den Bebauungsplan noch einmal neu auflegen musste.
Doch die Gemeinde kam den gestellten Auflagen nach, änderte den Bebauungsplan geringfügig ab und setzte ihn in der letzten Woche wieder auf die Tagesordnung. Die Gemeindeväter machten kurzen Prozess und entschieden sich ohne Aussprache einstimmig für das Projekt des Fastfood-Giganten. In die kommunale Planungshoheit, so die Message an die kritische Öffentlichkeit, lasse man sich nicht hineinreden.
So zeichnet sich immer deutlicher ab, dass am Irschenberg ein Präzedenzfall geschaffen wird, der einen weiteren ungezügelten Flächenverbrauch an exponierten und attraktiven landschaftlichen Stellen im Alpenvorland einleiten dürfte. Kapitalkräftige Investoren werden sich nun eingeladen fühlen, stets die imageträchtigsten Baugrundstücke einzufordern.
Die strategische Okkupierung landschaftlich prominenter Stellen hat Tradition: Auch zur Zeit der Christianisierung begnügten sich die Kirchenfürsten ja keineswegs damit, ihrer Macht mit eindrucksvollen Sakralbauten Ausdruck zu verleihen, sondern sie errichteten ihre Gotteshäuser immer genau dort, wo zuvor die so genannten Heiden ihre Kultplätze hatten. So scheint es nur folgerichtig, dass der Identifikationsort bayerischer Heimatschützer nun einen Tempel der Fastfood-Religion erhält.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen