: Geisterspiele mit Rugby-Zwergen
Alle Arenen seien ausverkauft, hieß es zu Beginn der Rugby-Weltmeisterschaft, doch in der Vorrunde waren die Stadien manchmal ernüchternd leer ■ Von Clemens Martin
London (taz) – Das Murrayfield-Stadion in Edinburgh bot am Samstag ein tristes Bild. Wo sonst bei Heimspielen der schottischen Rugby-Nationalmannschaft ein ausverkauftes Haus mit 75.000 Zuschauern die Regel ist, waren gerade mal 17.500 Unentwegte gekommen. Dabei spielten doch die Schotten in ihrem letzten Gruppenspiel der WM, und sie gewannen gegen Spanien mit 48:0. Am Sonntag zuvor war es noch schlimmer gewesen, als Südafrika, immerhin der amtierende Weltmeister, gegen Spanien spielte. Nachgezählt 3.000 Menschen verloren sich im weiten Rund beim 47:3-Sieg der Springboks.
Es waren keine Einzelfälle. Auch nur 3.000 Zuschauer kamen in Dublin zum Match USA gegen Rumänien, 3.700 sahen Spanien gegen Uruguay, und nur 9.500 Zuschauer weilten beim Match Schottland gegen Uruguay. Dabei hatte das offizielle Ausrichterland Wales vor dem Beginn der WM erklärt, dass sämtliche Spiele ausverkauft seien.
Doch vor allem die Scottish Rugby Union (SRU), der die Ausrichtung der Spiele in der Gruppe A übertragen worden war, hat etliche Fehler begangen. Auch weniger attraktive Spiele waren im riesigen Murrayfield-Stadion angesetzt. Und: Die Eintrittskarten kosten happige 38 bis 50 Pfund (114 bis 150 Mark), nicht mal für Schüler, Studenten, Rentner oder Behinderte gibt es Ermäßigung. Die für ihren sprichwörtlichen Geiz bekannten Schotten wollten da nicht drüber hinwegsehen.
Dass es auch anders geht, haben die Franzosen bewiesen, welche für die Spiele in der Gruppe C zuständig waren. Zur Begegnung zwischen den Außenseiterteams von Kanada und Namibia (72:11) waren, dank ermäßigter Preise, in Bordeaux immerhin 28.000 Schaulustige gekommen.
Die Geisteratmosphäre bei den Spielen seiner Mannschaft in Edinburgh hatte Südafrikas Trainer Nick Mallet wenig gefallen. So forderte er, zum alten Modus zurückzukehren und die WM in Zukunft wieder mit nur 16 Mannschaften auszutragen. Wer, argumentierte Mallet, interessiere sich schon für Spanien gegen Uruguay. Andere Trainer und Spieler schlossen sich seinen Argumenten an – und riefen damit, wenig verwunderlich, umgehend die Kritik der Rugby-Zwerge hervor.
Am weitesten ging dabei Uruguay, das erstmals an einer Rugby-WM teilnahm. Nationaltrainer Daniel Herrera forderte sogar eine Erweiterung der WM von 20 auf 24 Teams, und eine stärkere finanzielle Unterstützung vom International Rugby Board (IRB) für die Entwicklungsländer gleich dazu. Herreras Argumente machen in mehrerer Hinsicht durchaus Sinn: Rugby will expandieren, den Sport über die üblichen Rugby-Nationen hinaus populärer als bisher machen (auch aus finanziellem Interesse). Eine Rückkehr zu einer WM mit 16 Mannschaften würde den Eindruck erwecken, als sei der IRB nicht daran interessiert, die fast erdrückende Dominanz von Australien, Neuseeland, Südafrika, England, Frankreich, Irland, Schottland und Wales zu beenden. Damit eines Tages Teams wie WM-Teilnehmer USA oder Deutschland (beides Zielmärkte für Rugby) Chancen auf einen Erfolg gegen einen der acht Großen haben, müssen sie Erfahrungen sammeln. Und da bietet eine WM die beste Möglichkeit (Entwicklungsland Deutschland verlor gerade in Gera ein Testmatch gegen die frisch ausgeschiedenen Namibier mit 13:79).
Nur in zwei Spielen der Vorrunde – Neuseeland gegen Italien (101:3) und England gegen Tonga (101:10) – sind Außenseiterländer bei dieser vierten Rugby-WM richtig eingebrochen. Veranstalterland Wales hatte im Eröffnungsspiel gegen die argentinischen Pumas (23:18) lange Zeit erhebliche Mühe, und auch Frankreich, eines der stärksten europäischen Teams, wirkte gegen Kanada (38:22), Namibia (47:13) und Fidschi (28:19) wenig überzeugend.
In Schottland ist die Verlegenheit über die Zuschauerzahlen mittlerweile so groß, dass die Medien mit Anzeigen ihre Leser aufgefordert haben, doch bitte die eigene Nationalmannschaft zu unterstützen. Man solle sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, im Viertelfinale die urwüchsige Kraft der neuseeländischen All Blacks mit ihrem kleiderschrankbreiten und gazellenhaft schnellen Star Jonah Lomu im Murrayfield-Stadion sehen zu können. Das mutet insofern überheblich an, als sich die Schotten heute im Zwischenrundenmatch gegen West Samoa erst noch qualifizieren müssen. Und die Südseeler könnten, wie sie mit ihrem 38:31-Sieg über Wales bewiesen haben, durchaus in der Lage sein, Schottland einen Denkzettel für diese Überheblichkeit zu erteilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen