■ H.G. Hollein: Hemmschuh
Die Frau, mit der ich lebe, ist schuld, dass ich heute in der Politik keine große, um nicht zu sagen gar keine Rolle spiele. Hat sie doch unter Androhung der Aufkündigung unserer damals noch jungen Beziehung unterbunden, dass ich 1982 in die SPD eintrat. Dabei hatte ich mir alles so schön zurechtgelegt. Schließlich soll man kaufen, wenn die Kurse im Keller sind, und sehr viel tiefer als nach der Abwahl der Regierung Schmidt konnten die Werte der SPD eigentlich nicht mehr fallen. Beredt, dynamisch, fotogen und allen Inhalten gegenüber aufgeschlossen: Ich hatte das Zeug zum Möllemann von Eimsbüttel-Nord. Ich hätte Kohlköniginnen geküsst, auf Straßenfesten Kindern Luftballons aufgepustet, bis die Backen glühen, und Spielmannszügen mit dem Taktstock furiose Klangerlebnisse abverlangt. Die Gefährtin hätte derweil Plakate geklebt, meinen stets voller werdenden Terminkalender geführt und den Ortsverein mit Schnittchen versorgt. Bei sich abzeichnender Rückkehr an die Regierung wäre es dann allerdings unerlässlich geworden, die treue Seele medienwirksam durch eine jüngere Frau an meiner Seite zu ersetzen. Der politische Neubeginn will schließlich auch personell sinnhaft vermittelt werden. Das Herz des Souveräns, da bin ich mir sicher, wäre mir nur so zugeflogen. Wer unter den lieben Wählerinnen und Wählern hätte schließlich meinen Wahlspruch – „Hollein hat's“ – widerstehen können. Und so wäre ich denn seit der gewonnenen Wahl vom Vorjahr damit beschäftigt, meine Einsichten in die Untiefen des politischen Seins auf dem Buchmarkt feilzubieten. Als Arbeitstitel schwebte mir so etwas wie „Den Weg wagen“ vor. Für sensible Leser klingt da schon an, wohin mich mein konsequentes Politikverständnis geführt hätte. Richtig, zum Parteiwechsel zu den Grünen. Wie gesagt: Man muß investieren, wenn die Kurse im Keller sind. Aber da die Gefährtin immer noch über meine Geschicke wacht, wird wohl wieder nichts draus.
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