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Buddhismus im Alltag    ■ Von Wiglaf Droste

In Janwillem van de Weterings neuem Buch „Reine Leere“ findet sich eine Passage über das, was er „die fernöstliche Methode der Negation“ nennt. „Das, was nicht ist“, ist van de Weterings Sache. „Vernichte alle Konstruktionen, dann genieße den leeren Raum.“

Handelt es sich um eine Anweisung für Sprengmeister? Um eine Ermunterung, mit der Dampframme durch die Welt ziehen und nach Feierabend froh zu betrachten, was man in Schutt und Asche gelegt hat? Ist es die Empfehlung, wie ein Dreijähriger alles abzuräumen und sich ohne einen Anhauch von Gewissensbiss darüber zu freuen? Oder ist es rein geistig zu verstehen? Philosophische und religiöse Dickdenkerei aller Art – fort damit aus dem Hirn, und anschließend wird das Rauschen zwischen den Ohren genossen?

Das Ungute am Buddhismus, das erfährt man in van de Weterings geistvollen, lichten Büchern ganz nebenbei, ist die Erleuchtungsstreberei. Da verhält es sich mit dem Buddhismus auch nicht anders als mit der Kritischen Theorie oder der Hamburger Schwimmschule: Das Bedürfnis nach Autorität und Unterwerfung liegt als fiese Patina über allem. Schüler schreien nach Zensuren: Bin ich schon erleuchteter als mein Nebenmann? Das Streben nach Weisheit wird durch Weisheitsstreber pervertiert. Verbissen belegen sie einen Leistungskurs Buddhismus nach dem anderen; sie sind permanent angestrengt und deshalb furchtbar anstrengend. Peter Hein, der Sänger von Family 5, wusste es schon 1984: „Im Leistungskurs Leben / wird dir nicht beigebracht / dass du alles, was sie dir geben / später doppelt bezahlst.“ Hein und seine Musik waren in den 80er-Jahren das Beste, was aus Düsseldorf kam. Dem Rest der Stadt hätte eine buddhistische Abrissbirne gutgetan.

Buddhistische Weisheit vermittelt sich oft nonverbal und wird über ungewöhnliche, paradox erscheinende Handlungen weitergegeben. Bei der Abreise aus Frankfurt am Main hatte ich eine einschneidende Begegnung mit einem weisen Mann. Wie jedes Mal beim Verlassen dieser Stadt durchdrang mich das Gefühl, eben noch entronnen zu sein. Im Speisewagen des ICE saßen wir zu viert an einem Tisch, ich las van de Wetering. Der Literaturredakteur K., ein angenehm zurückhaltender Mann, kam ins Zugrestaurant, sah den voll besetzten Tisch und wollte sich schon solo hocken, wurde aber hinzugebeten. Man rückte zusammen, K. saß am Bankrand, quasi auf drei Viertel Backen. Er bestellte einen Salat. Gerade als er eine volle Gabel Grün vor dem Mund hatte, machte der Zug einen heftigen Schlenker. Der Redakteur flog aus der Sitzbank, die Gabel mit dem Salat in der Hand, und kullerte in den Gang. Verletzt wurde niemand, nur eine Passagierin, von K. und seiner Gabel mittelknapp verfehlt, erschrak. Wir hatten Glück. Wir sahen Eschede mit salatenem Antlitz.

Welches Rätsel aber wollte der Literaturredakteur uns durch sein unorthodoxes Verhalten aufgeben? Durch die Abweichung von der Norm wollte er unser Bewusstsein erweitern und schärfen, das war klar. Aber wie genau? Freundlicherweise hatte er uns eine leichte Aufgabe zugedacht, und so hatten wir dieses Koan bald gelöst: Erst kommt das Dressing, dann kommt die Literatur. Und dann hat man den Salat.

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