: Ein Land unter der Knute der Militärs
■ Die ehemaligen Todesschwadronen fühlen sich von den guten Wahlaussichten der rechten Parteien ermutigt und drohen offen
Guatemala-Stadt (taz) – „Wenn die FRG gewinnt, wird hier erst einmal für ein paar Monate der Teufel los sein.“ Frank La Rue, der prominenteste Menschenrechtsanwalt Guatemalas, macht sich Sorgen. Schon seit Monaten bereitet er eine Klage gegen den ehemaligen Militärdiktator und heutigen FRG-Vorsitzenden Efrain Rios Montt vor. Das anzuklagende Verbrechen: Völkermord. Das ist an sich schon gefährlich genug. Wenn der FRG-Kandidat Alfonso Portillo am kommenden Sonntag die Präsidentschaftswahl gewinnt, wird es noch viel gefährlicher.
„Hier in der Stadt wird nicht viel passieren“, glaubt La Rue. Schließlich müsse Portillo der internationalen Öffentlickeit beweisen, dass die FRG keine blutrünstige Schlächterpartei mehr sei. „Aber was geschieht mit unseren Mitarbeitern auf dem Land?“ Dort fühlen sich die Todesschwadronen von gestern schon alleine durch die guten Umfrageergebnisse für die FRG ermutigt. „Meine Leute werden schon heute offen bedroht“, sagt La Rue.
Das Hinterland von Guatemala war in der Zeit des Bürgerkriegs fest im Griff der so genannten „Zivilen Selbstverteidigungs-Patrouillen“ (PAC). Sie waren einst von Rios Montt aufgebaut worden. Nachdem mehr als 400 indianische Gemeinden dem Erdboden gleichgemacht worden waren, weil deren Bewohner für Unterstützer der Guerilla gehalten wurden, richtete die Militärregierung für die Überlebenden „Modelldörfer“ ein. Die wurden von den PAC bewacht. Bis zu 500.000 Männer hatte diese militärische Hilfstruppe unter Waffen, bei rund zehn Millionen Einwohnern.
Im Zusammenhang mit dem Friedensvertrag von 1996 wurden die PAC aufgelöst. Obwohl ihnen die Teilnahme an mehreren hundert Massakern nachgewiesen wurde, ist bis heute erst eine Handvoll ihrer Mitglieder angeklagt und verurteilt. Die meisten Patrouilleros leben nach wie vor in ihren Dörfern. Aus den einst offiziellen Strukturen sind informelle Freundeskreise geworden. An den guten Beziehungen zur Armee hat sich kaum etwas geändert. Die ehemaligen PAC sind noch immer die wichtigsten Zuarbeiter der Militärs, und die Militärs haben Guatemala weiterhin unter Kontrolle.
Erst in der vergangenen Woche wurde die Existenz einer Art militärischer Geheimloge bekannt, die sich „la oficinita“ („das kleine Büro“) nennt. Ihre Mitglieder sitzen nicht nur in den Schlüsselpositionen des Generalstabs der Armee, sondern genauso bei der Polizei, im Innenministerium, bei Staatsanwaltschaft und Gerichten. Militärs kontrollieren so den gesamten Sicherheits- und Justizapparat.
Auch die gefürchtete Präsidentengarde wurde nicht aufgelöst, obwohl Präsident Alvaro Arzu dies im Friedensvertrag zugesichert hatte. Arzu, glaubt der Menschenrechtsanwalt, würde die Garde gerne in die Wüste schicken. „Aber er hat Angst, dass er das nicht überlebt.“ Auch im Fall des Mordes an Bischof Gerardi dürften die Täter in dieser Eliteeinheit zu suchen sein. Der erste Ermittlungsrichter war ausgerechnet Rechtsberater der Armee und musste auf internationalen Druck hin zurücktreten. Der zweite ging nach Morddrohungen ins Exil.
Gedroht wird nicht nur auf hoher politischer Ebene. Auf dem Land, erzählt Miguel Angel Albizures von der „Allianz gegen die Straffreiheit“, ist es gefährlich, bei der Exhumierung von Massengräbern dabei zu sein. Ein junger Mann, der sich dafür als Zeuge zur Verfügung gestellt habe, sei von seinem Dorf bis in die Hauptstadt verfolgt worden. Tagelang sei ihm ein Wagen mit abgedunkelten Scheiben und ohne Nummernschild gefolgt. „Das stecken nicht nur ein paar ehemalige PAC-Mitglieder dahinter“, sagt Albizures. „Für so eine Verfolgung braucht man Geld und eine gut funktionierende Struktur.“
Am Ende der Verfolgung sei der schon völlig eingeschüchterte junge Mann auf der Straße angehalten worden. Man habe ihm gesagt, er solle in Zukunft Exhumierungen von Massengräbern fernbleiben. Sonst werde er den Wahltag nicht lange überleben. Toni Keppeler
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