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Aceh testet Indonesiens neue Regierung

In der nordwestindonesischen Provinz Aceh fordern immer mehr Menschen nach dem Vorbild Osttimors ein Unabhängigkeitsreferendum. Präsident Wahid versucht die Spirale der Gewalt zu durchbrechen  ■   Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – „Freiheit für Aceh!“ und „Wir wollen Unabhängigkeit!“, riefen gestern zehntausende Demonstranten in der Stadt Sigli im Nordwesten der Provinz Aceh. Auf Transparenten forderten sie eine Volksabstimmung über die Zukunft ihrer Heimat und protestierten gegen die Gewalt des indonesischen Militärs. Zwei Tage zuvor hatten Soldaten in eine Menge von Demonstranten geschossen und dabei drei Menschen getötet und über zwanzig verletzt.

Für die neue Regierung in Jakarta wird die unruhige Provinz Aceh, eine rohstoffreiche Region an der Nordspitze der Insel Sumatra, zum ersten Test: Kann Präsident Abdurrahman Wahid das von schweren Unruhen erschütterte Indonesien zusammenhalten?

Wie in Osttimor hat der Kampf der indonesischen Armee gegen eine Unabhängigkeitsbewegung „Freies Aceh“, die seit Mitte der 70er-Jahre aktiv ist, große Opfer gefordert. Tausende Bewohner starben in den letzten Jahren. Ex-Präsident B.J. Habibie hatte in den vergangenen Monaten weitere Militäreinheiten nach Aceh geschickt, um den Widerstand zu ersticken. Seitdem flüchteten über 150.000 Menschen aus Angst vor den Razzien der Soldaten aus ihren Dörfern. Wahid versucht die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen, kündigte er am Montag an, die gefürchteten Aufstandsbekämpfungstruppen aus Aceh abzuziehen. Ende November sollen nur noch reguläre Einheiten dort stationiert sein.

Zuvor hatte der Präsident etwas getan, was unter seinen Vorgängern unvorstellbar gewesen wäre: Er lud Vertreter von „Freies Aceh“ zu Gesprächen nach Jakarta. An die Spitze des neu geschaffenen Ministeriums für Menschenrechte berief er einen Aktivisten der Menschenrechtsbewegung aus Aceh. Und der Vizechef der indonesischen Streitkräfte wird erstmals ein Acehnese: Generalleutnant Fachrul Rozi. „Mit militärischen Mitteln können die Probleme in Aceh nicht gelöst werden“, erklärte Admiral Widodo. Bereits zuvor hatte die Regierung der Provinz mehr Autonomie versprochen, ein Unabhängigkeitsreferendum wie in Osttimor bis jetzt aber stets ausgeschlossen.

Wahid versprach, Berichte von Menschenrechtlern über ein Massaker zu überprüfen: Danach haben Soldaten im Westen der Provinz im Juli 51 unbewaffnete Dorfbewohner aus der örtlichen Islamschule auf einem Feld erschossen. Später versuchten sie, die Spuren zu verwischen und Zeugen aus dem Weg zu räumen.

Genau wie in Osttimor hat die Armee, die Aceh 1989 bis 1998 offiziell als Aufstandsgebiet betrachtete, auch hier mit ihrer Brutalität nur eines erreicht: Es trieb die Bevölkerung immer weiter in die Arme der Separatisten, die ihren Unabhängigkeitskampf mit der Forderung nach einem islamischen Staat verbinden. Anders als die osttimoresische Falintil-Guerilla ist „Freies Aceh“ allerdings eine relativ obskure Organisation, unter deren Namen mehrere Fraktionen kämpfen. Einige – aber nicht alle – ihrer Mitglieder rekrutieren sich aus islamistischen Gruppen, die unter anderem aus Libyen und Malaysia unterstützt werden. Sie alle beziehen sich auf den über 80-jährigen Gründer der Bewegung, Hasan di Tiro, der seit den 70er-Jahren im schwedischen Exil lebt.

Die Vorstellungen eines künftigen freien Aceh scheinen diffus: Während einige Mitglieder der Gruppe von der Demokratie träumen, wollen andere an die Periode des Sultanats vor der holländischen Kolonialzeit im letzten Jahrhundert anknüpfen. König des unabhängigen Aceh soll, sagen sie, Hasan di Tiro werden, der von den alten Sultanen abstammt.

Nach der Unabhängigkeit Osttimors haben sie neuen Mut geschöpft. Schon in den letzten Monaten haben Einheiten von „Freies Aceh“ den Konflikt mit der Armee gezielt immer wieder geschürt: Sie erschossen weit über fünfzig Soldaten, Polizisten und mutmaßliche Informanten, andere wurden entführt und gefoltert. Darauf reagierten die Militärs stets mit neuen, brutalen Racheaktionen gegen alle, die sie verdächtigten, mit der Guerilla zu sympathisieren. Wie schwer die neue Regierung es haben wird, die Armee in den Griff zu kriegen, ist schnell deutlich geworden: Nur wenige Stunden nachdem Wahid den Abzug der Sondereinheiten angekündigt hatte, überfielen hunderte Soldaten mehrere Dörfer im Norden der Provinz. Sie legen 36 Häuser in Schutt und Asche und verhafteten 136 Personen. Ein Armeesprecher zeigte sich verständnisvoll: „Es war schwer, die Soldaten daran zu hindern: Sie waren so wütend, nachdem sie einen ihrer Kollegen tot aufgefunden hatten. Er war von den Rebellen erschossen worden.“

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