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PickpocketsBiblische Obszönitäten und erotische Moritaten

■ Bekanntlich ist die Liebe unsterblich. Deshalb wird es Liebeslyrik immer geben, wie neue Sammlungen beweisen

Albanie / gebrauche deiner zeit / Und laß den liebes-luesten freyen zuegel / Wenn uns der schnee der jahre hat beschneyt/So schmeckt kein kuß / der liebe wahres siegel / Im gruenen may gruent nur der bunte klee. / Albanie.“

Das ist die erste Strophe eines Liebesgedichts aus dem Barock, verfasst von Christian Hofmann von Hofmannswaldau. Ein Gedicht, das ausgesprochen modern anmutet oder zumindest doch zeitlos. Und das liegt nicht zuletzt an seinem zeitlosen Thema. Die Liebe ist bekanntlich unsterblich, und Liebeslyrik wird es deshalb immer geben. Die kleine, von Hans Wagener besorgte Anthologie „Fünfzig Liebesgedichte“ vom Mittelalter bis in die Gegenwart, von Wolfram von Eschenbach bis Günter Grass, belegt das – fast wie nebenbei und ebendeshalb nachdrücklich.

Goethe hat zarte Liebeslyrik geschrieben, aber bekanntlich auch sehr handfest erotische Gedichte, so zum Beispiel die nachgelassene vierte römische Elegie, in der es heißt: „Nicht das Mädchen entsetzt sich vor mir, und nicht die Matrone, / Häßlich bin ich nicht mehr, bin ungeheuer nur starck. / Dafür soll dir den(n) auch halbfuslang die prächtige Ruthe / Strozzen vom Mittel herauf, wenn es die Liebste gebeut.“

Nun sind wir alle zurzeit Goethes rechtschaffen müde, und dennoch sei auf das wirklich sehr schöne Taschenbuch verwiesen, das auch die vierte Elegie enthält. Das Buch, ediert und erläutert von Karl Eibl, bietet nämlich eine Auswahl aus Goethes „Gedichten in Handschriften“, und wer sich in Zeiten elektronischer Textverarbeitung noch einen Sinn für die sinnliche Schönheit der Handschrift bewahrt hat, dem wird der Band gefallen.

Von Alexander Puschkins erotischen Gedichten wurden zu seinen Lebzeiten nur wenige veröffentlicht – die zaristische Zensur ließ das nicht zu. Michael Engelhard hat jetzt eine schöne Auswahl herausgegeben.

Puschkin hat einmal die Bemerkung gemacht, dass zur Sprache eine gewisse „biblische Obszönität“ gehöre, gewissermaßen also eine gewisse alttestamentarische Unschuld, und deshalb werden in diesen Gedichten die Dinge respektive die Körperteile und ihre Funktionen drastisch beim Namen genannt. „Ich wollte, ach! Des Herzens Glut / Der stolzen Maid zu Füßen legen! / Doch unser Leben, unser Blut / Kann ihre Seele nicht erregen. / Der Tränen satt ist meine Brust, / Der Schmerz will schier mein Herz erdrücken. / Denn dieses Mädchen spürt wohl Lust, / Doch sie erlaubt nicht, sie zu ficken.“

Auf solch drastische Wortwahl wäre der große Humorist Wilhem Busch nicht verfallen – öffentlich jedenfalls nicht. In seinen Gedichten ohne Bilder, die seinen lyrischen Rang belegen, erscheinen Erotik und Sexualität als das, was sie zu seiner Zeit waren: unterdrückt von gesellschaftlichen Normen und Kontrollen. „Ein hübsches Pärchen ging einmal / Tief in des Waldes Gründe. / Sie pflückte Beeren ohne Zahl, / Er schnitt was in die Rinde. // Der pflichtgetreue Förster sieht's. / Was sind das für Geschichten? / Er zieht sein Buch, er nimmt Notiz / Und wird den Fall berichten.“

Die „Moritaten, Balladen & Andere Gedichte“ des unvergleichlichen Ror Wolf beweisen, dass dieser Autor zwar auch von Wilhem Busch gelernt, ihn aber auch weit hinter sich gelassen hat – nicht zuletzt in der raffiniert-witzigen Weise, mit der Ror Wolf Erotik lyrisch evoziert und zugleich wieder ad absurdum führt:

„Ach mein Herr, ich will mich jetzt entfalten, / sagt die erste Dame ziemlich nett, / und sie öffnet freundlich das Korsett. / Ihren Hut, den hat sie aufbehalten. // Und die zweite sagt: ich bin bereit / für den Lebensmitteleinzelhandel, / und sie springt aus einem Gummimantel. / Waldmann sagt: Ich habe keine Zeit. // Und die dritte, eine blasse keusche /Dame sagt: mein Herr, ich werde schwach. / Waldmann sagt: ich hasse diesen Krach, / ich verbiete sämtliche Geräusche.“

Klaus Modick

Hans Wagener (Hg.): „Fünfzig Liebesgedichte“. Reclams UB Goethe: „Gedichte in Handschriften“. insel tb Alexander Puschkin: „Erotische Gedichte“. insel tb Wilhelm Busch: „Gedichte“. insel tb Ror Wolf: „Aussichten auf neue Erlebnisse“. Fischer TB

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