Der Bundesbeauftragte für Ostdeutsche

■  An der Entscheidung, Joachim Gauck als Vertreter der Bürgerbewegung zu den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Mauerfalls reden zu lassen, entzündet sich Kritik. Immerhin ist Demokratie mehr als die Abwesenheit von Stasi

Wiederholt sich Geschichte doch? Zumindest die des Herbstes von 1989? Zehn Jahre nach dem Aufbruch in der DDR, dem am 9. November der Fall der Berliner Mauer folgte, sind die Verhältnisse wieder geordnet: Die einen erinnern in der Gethsemanekirche an die uneingelösten Forderungen von damals. Der andere, dessen Name wie kein anderer den DDR-Alltag mit dem Thema Stasi gleichsetzt, wird im Bundestag verkünden, dass alle Ziele der Bürgerrechtler erreicht seien. Deutschland im November 1999.

Dass sich Bürgerbewegte wie Reinhard Schult oder Sebastian Pflugbeil über die Nominierung Joachim Gaucks zum Bundesbeauftragten der Ostdeutschen echauffieren, ist ihr gutes Recht. In den stürmischen Zeiten des Oktober und November 1989 war von Gauck wenig zu sehen und zu hören. Zur Normalisierung der Verhältnisse gehört es auch, dass die Kritik der PDS ernst genommen wird. Nur, Hans Modrow wäre es eben auch nicht gewesen.

Warum aber kritisiert keiner Joachim Gauck wegen seiner Positionen? Warum nimmt man hin, dass er ausgerechnet von der CSU vorgeschlagen wurde? Und: Stimmen denn alle Gauck zu, dass die 16 Millionen Deutschen, die nun nicht mehr in einer Diktatur leben müssen, sondern in einer Demokratie leben dürfen, zu eben jener noch immer nicht fähig seien?

Mit der Wahl Joachim Gaucks hat man sich denjenigen ausgesucht, von dem am wenigsten ein kritisches Wort zu hören sein wird. Genau diese kritischen Worte wären, bei aller Freude, aber auch angebracht bei der Bilanz des Herbstes 1989 und der Frage nach seiner Aktualität. Schließlich war die Distanz der Bürger zum politischen System der Bundesrepublik noch nie so groß wie heute, im Osten, aber in zunehmendem Maße auch im Westen. Dabei haben die Ostdeutschen den Wessis die Erfahrung voraus, wie sich diese Distanz plötzlich Bahn brechen kann. Auch das ist so eine der Erfahrungen des Herbstes 1989.

Für Joachim Gauck spielt das allerdings keine Rolle. Für ihn hat sich mit dem Beitritt zur Bundesrepublik das Vermächtnis der ostdeutschen Demokratiebewegung erfüllt. Was aber, wenn der Beitritt für die Ossis nur ein Umweg war? Wenn sie sich plötzlich wieder der Ziele von 89 erinnern, jener, die nicht eingelöst sind oder immer weiter aus dem Blick geraten: soziale Gerechtigkeit etwa. Und warum soll man dieser Tage nicht fordern, dass auch die Wessis einen Umweg gehen sollten. Von den Ossis könnten sie lernen, dass Demokratie mehr sein sollte als das Gegenteil von Parteienherrschaft oder Stasi. Von Joachim Gauck freilich nicht. Uwe Rada

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