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■ Die friedliche Revolution, die zur Auflösung der DDR führte, wäre ohne die Bürgerrechtler in den Dörfern und Kleinstädten nie erfolgreich gewesen. Erst Menschen wie Pastor Hennerjürgen Havenstein aus Daubitz, Elektromeister Georg Meusel aus Werdau oder Geologe Arnold Fuchs aus Goldberg haben die Geschichte gewendet. Mit den städtischen Bemühungen, den Sozialismus zu refomieren, konnte die Landbevölkerung wenig bis nichts anfangen: „Wir, die wir vom Lande kamen, wollten die deutsche Einheit.“   Aus der osteutschen Provinz Jens RübsamAlle Revolutionsgewalt geht vom Lande aus

Dieser Tage fahndet eine Berliner Zeitung nach den „vergessenen Anstiftern der Revolution“. Gestellt werden 19 Personen. Von B wie Bohley über K wie Klier, L wie Lengsfeld und R wie Reich bis hin zu S wie Schorlemmer reicht das Lehrbuch der Bürgerbewegten, Fußnote der Zeitung: „Sie haben sich mit den Mächtigen in der DDR angelegt.“

Vergessen? Die Bohley? Die Klier? Wirklich nichts mehr gehört von Lengsfeld und Reich? Aus dem Sinn, die Revolutionäre aus der Stadt? Ach, was!

Wo eigentlich liegt Daubitz? Wo Werdau? Und wo befindet sich Goldberg? Wer ist Havenstein? Wer Meusel? Und wer ist Fuchs?

„Das DDR-System“, sagt der Leipziger Historiker Günther Heydemann, „wurde auf dem platten Land ausgehoben. Hier hat das Regime seinen tödlichen Dolchstoß erhalten.“

Unterwegs im Lande, zwischen Daubitz in der Oberlausitz, Werdau in Westsachsen und Goldberg in Mecklenburg. Mal dürres Bergland, mal fette Äcker, mal eine verwaiste Textilfabrik, mal eine aufgepäppelte Agrargenossenschaft, mal ein wimmerndes „Glück auf!“, mal ein launiges „Moin, moin!“ – unterwegs in der ostdeutschen Provinz, gelegen, heute wie damals, an der Peripherie des Bewusstseins.

Was nach außen dringt, im Herbst vor zehn Jahren und im Herbst 1999, ist das Volksstück Großstadtrevolution: 20.000 Demonstranten am 8. Oktober auf der Dresdner Prager Straße; 70.000 Demonstranten am 9. Oktober rund um die Leipziger Nikolaikirche; 500.000 Demonstranten am 4. November auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz. Wer nach außen spricht, das sind die Großstadtrevoluzzer. „Die wohnen eben am Berliner U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz und sind immer erreichbar“, sagt ein Beobachter der bürgerbewegten Szene.

Das platte Land dagegen bleibt Märchenland, die Bürgerrechtler aus der Provinz bleiben eine Randnotiz der Geschichte.

Wer weiß schon von dem Sohn eines Bereitschaftspolizisten, der am 30. September im thüringischen Arnstadt heimlich Flugblätter verteilt? Oben der Aufruf „zur friedlichen Demonstration gegen die willkürliche Politik der SED“, darunter das Gedicht „Was für ein Leben?“. Noch am selben Abend finden sich 200 Arnstädter auf dem Holzmarkt ein: „Na“, fragt ein Herumstehender, „quatscht denn nun endlich mal einer.“

Wer weiß schon von der vogtländischen Kleinstadt Plauen? Bereits am 7. Oktober nehmen zehntausende den Theater- und Otto-Grothewohl-Platz ein, sie rufen nach „Freiheit“ und nach „Einheit“ und versauen der feiernden SED-Brigade den „40. Jubeltag der Republik“.

Wer weiß schon vom ostdeutschen Norden und den Wende-Besonderheiten? Nirgendwo werden schneller Stasizentralen aufgelöst als zwischen Mecklenburg und Vorpommern. Nirgendwo anders findet sich eine derartige Vielfalt an Bürgerrechtsinitiativen. „Initiative 89“ nennt sich eine Gruppe in Wismar, „Bürgergruppe Wende 89“ eine in Anklam, „Interessengemeinschaft Umgestaltung“ eine in Parchim.

Die Provinz im Wendeherbst 89: die intelligente Mittelschicht so dünn wie Pergamentpapier, das Protestpotenzial geflohen in die Städte und die Kirchenfunktionäre in seliger Harmonie mit den Parteifunktionären. Tenor der Landfrommen: Die Kirche ist für alle da, aber nicht für alles. Nicht selten werden Kirchentüren verschlossen gehalten. Nicht selten drohen Bischöfe und Superintendenten ihren Gemeindepastoren mit disziplinarischen Konsequenzen, wenn sie sich für die Bürgerbewegung engagieren wollen.

Pastor Havenstein aus Daubitz „schickte der Himmel“

Ein Simson-Roller knattert durch die Oberlausitz. Der Motor ächzt im ersten Gang, und der Fahrer, Pastor Havenstein, 68, winkt freundlich den Passanten. Über Pastor Havenstein sagen die Leute hier: „Er hat die Wende im Kreis Weißwasser gemacht“. Pastor Havenstein sagt von sich: „Ich habe die Wende im Kreis Weißwasser gemacht.“

Zwei Ereignisse geschehen an diesem Tag um die Mittagszeit im Dörfchen Daubitz: Das Postauto fährt vor, und der Pastor im Ruhestand weist einem Fremden den Ort. Damit ist eigentlich alles gesagt über Daubitz, jedenfalls über das Daubitz von heute. Nichts allerdings ist gesagt über das Daubitz vom Herbst 89.

Hier die Dorfkirche! Pastor Havenstein weist nach links. 700 Menschen kommen am 30. Oktober vor zehn Jahren zum Gottesdienst, die Bänke reichen lediglich für 500. Hier der Weg der ersten Demonstration! Die Daubitzer tragen Kerzen, wie allerorten, und Fahnen, schwarz-rot-gold, ohne Hammer, Zirkel und Ährenkranz, nicht wie allerorten. Hier das Ferienhaus eines Lehrers! Der Pastor weist die Dorfstraße hinab. Den Besitzer, einen systemkritischen Pädagogen, will er nach der Wende zum Schulrat machen und seinen Sohn zum Landrat. Heute ist der Sohn Schulrat. Und Landrat ist ein anderer aus Daubitz geworden.

Pastor Havenstein hat Freude an solchen Anekdoten. Kein Zweifel mehr, er hat die Wende gemacht in der Oberlausitz.

„Störenfried“ und „Provokateur“ – so nennen Havenstein nicht nur die Funktionäre von Staat und Partei, so nennen ihn auch Funktionäre aus Kirchenkreisen. Als die Provinzialsynode 1985 darüber diskutiert, wie sie angemessen und feierlich den 40. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus begehen soll, ergreift er das Wort und erzählt, was ihm in Erinnerung geblieben ist: die Vergewaltigung von Mädchen und Frauen durch russische Soldaten.

Als im Generalkonvent 1989 darüber nachgedacht wird, wie des 40. Jahrestags der DDR gedacht werden soll, steht er auf und sagt: „Da geh ich auf keinen Fall hin.“ Ein Superintendent fleht in die Runde: „Wir wollen doch das gute Verhältnis zum Staat wahren.“ Als er am 14. Oktober 1989 zu einem Treffen des Neuen Forums nach Berlin fahren will, erteilt ihm der Bischof den dienstlichen Befehl: „Die Reise haben Sie nicht anzutreten“. Fahre er dennoch, habe er mit disziplinarischen Konsequenzen zu rechnen. Havenstein nimmt den Zug.

Tage zuvor schon, beim Erntedankgottesdienst, hatte er für das Neue Forum geworben. Nach einem Telefonat Ende September war er von Bärbel Bohley zum Leiter des Neuen Forums im Bezirk Cottbus ernannt worden: „Sie schickt der Himmel.“

In der Oberlausitz nähen Frauen Deutschlandfahnen, eine sogar hundert am Stück. Andere fertigen weiße Armbinden, friedlich sollen auch hier die Demonstrationen verlaufen. Auf Weißwassers Straßen ist Pastor Havenstein stets in der ersten Reihe zu sehen. Er läuft für die Wiedervereinigung, Woche für Woche. Als Anfang 1990 das Neue Forum auf Tagungen in Berlin noch immer darüber nachdenkt, wie die DDR zu reformieren sei, tritt Havenstein aus. „Wir, die vom Land kamen, wollten die deutsche Einheit.“ Die Einheit. Nichts weiter.

Aus dem platten Land drängen längst die Rufe „Wir sind ein Volk“, die Demonstranten halten längst die Deutschlandfahnen in den Himmel, und im sächsischen Wurzen bittet der Pastor die Menge zum Hammelsprung. Wer für die deutsche Einheit ist, soll die Jakobsgasse entlanggehen, wer für einen erneuerten Sozialismus, die Badergasse. Die Masse trabt durch die Jakobsgasse.

Währenddessen fordern Bürgerrechtler vom Demokratischen Aufbruch in Berlin noch immer „die Entwicklung des Sozialismuses in unserem Land“, und Bürgerrechtler vom Neuen Forum bekunden: „Die Wiedervereinigung ist kein Thema, da wir von der Zweistaatlichkeit Deutschlands ausgehen und kein kapitalistisches Gesellschaftssystem anstreben.“

„Wer in seinem Dorf aus dem Haus kam“, sagt der Zeithistoriker Roland Brauckmann, „sah vor seinen Füßen, dass das System am Ende ist. Wer jedoch in Prenzlauer Berg in den Künstlerkneipen verkehrte, war wahrscheinlich nie in einer Fabrik.“

Dreht sich in der Stadt alles um Theorien, wie der Sozialismus zu reformieren ist, geht es auf dem Land um die Ersatzteilbeschaffung für Trabanten. Treffen sich hier Intellektuelle, versammeln sich dort die Arbeiter und Bauern. Wird auf großstädtischen Foren an Systementwürfen gebastelt, wird in dörflichen Wirtshäusern nach Konsum anstatt nach Demokratie gelechzt. „Die Massen“, sagt der Leipziger Historiker Heydemann, „waren realistischer. Die haben sich gesagt: Wir haben nur ein Leben, eines, das schon bis zur Hälfte versaut ist.“

Und wenn mal einer, wie der Werdauer Bürgerrechtler Georg Meusel in jenen Novembertagen auf dem Marktplatz seiner Kleinstadt zu sagen wagt, die SED soll bleiben und für Aufarbeitung sorgen, dann donnern Pfiffe wie Gewitter durch den Abend. „Nur gut“, sagt Meusel heute, „hatte ich da noch nicht gesagt: Die DDR soll bleiben. Das wäre eigentlich mein nächster Punkt gewesen.“

Wenn Georg Meusel, 57, heute von der DDR spricht, klingt es, als habe er jedes Jahr von Vater Staat einen Ferienplatz auf der Krim zugewiesen bekommen: „Geringes Arm-Reich-Gefälle, niemand brauchte zu betteln, Hoffen auf Entwicklungsfähigkeit.“

Der Elektromeister Georg Meusel, so andächtig er auch zurückblicken mag, zählt damals nicht zu geliebten Staatsbürgern. Oberschulverbot wegen Nichtmitgliedschaft in Pionier- und FDJ-Organisation, Studienverbot wegen Kritik an der NVA. Nach der Ausbürgerung Biermanns telegrafiert er protestierend an das ZK der SED, und bei einer Atomschlagübung im Wohnbezirk bringt er statt der vorgeschriebenen Klebestreifen gegen Splitterwirkung weiße Papier-Friedenstauben an den Fensterscheiben an.

Auf Georg Meusel aus Werdau waren 51 IM angesetzt

1973 gründet er das erste christliche Friedenseminar in der DDR mit. 2.096 Seiten umfassen seine Stasi-Akten, verteilt auf fünf Bände. 51 Informelle Mitarbeiter sind auf ihn angesetzt, ermittelt wird wegen Feindtätigkeit, Verbrechen gegen die DDR und staatsfeindlicher Hetze. Jahre später, 1994, sagt er vor einer Enquetekommission des Bundestages zu den Ereignissen im Herbst 1989: „Mir ging es nicht um den Sturz des Systems“. Bitte was? „Ich wollte die DDR friedlicher, freundlicher und menschlicher gestalten“, sagt Meusel sanft. Und verwundert über so viel Begriffsstutzigkeit unterstreicht er: „Ich habe gern in der DDR gelebt.“

Georg Meusel hat wenig Zeit in diesen Tagen. „Der aufrechte Gang“ heißt eine Ausstellung, die er organisiert. Zivilcourage wird dokumentiert, und wie man die DDR in ihrer Restlegalität annehmen konnte: Zur Wahl gehen, aber alle Namen durchstreichen, die öffentliche Auszählung überwachen und Eingaben schreiben. Wie viele Eingaben Georg Meusel verfasst hat, lässt sich nicht zählen.

Menschen wie Meusel glauben an die Veränderbarkeit der Dinge, hoffen auf Gerechtigkeit, nehmen Leid hin als sei ihnen aufgetragen zu leiden, sie wissen aber auch, ihr Leid genau zu kalkulieren. „Ich habe eine Familie, ich will nicht unbedingt Action betreiben“, sagt er sich und versucht, die DDR legal zu verändern – einen Staat, der keinen Freiraum lässt, gegen etwas zu sein, der aber alle Freiräume lässt, für ihn zu sein.

„Vielleicht“, sagt er heute, „war ich zu gutgläubig.“

Wer annimmt, die Friedensseminar-Leute aus dem Sächsischen forcieren in ihrer Kleinstadt die Wende, der täuscht. Die Straße ist nicht unsere Sache, und Aktionen sind nicht unser Ding, heißt es im kleinen Kreis. Da hatten schon Polizisten an der nahe gelegenen Bahnstrecke Dresden – Hof etliche Bürger verprügelt, die die Sonderzüge der Botschaftsflüchtlinge beobachten wollten, da marschierten schon in Plauen und in Leipzig tausende.

Erst als ein Flugbatt auftaucht und sich bei der Demonstration auf dem Marktplatze Tumulte abspielen, übernehmen sie die Werdauer Wende: Friedensgebete, Demonstrationen, Runder Tisch, Basisgruppen, eine Bürgerratswahl im Januar, eine Zeitung für die Region, volles Ausschöpfen der neuen Demokratie eben. Auf Veranstaltungen aber fragen die Bürger: Warum erhalten die Kampftruppen eine Zusatzrente und nicht die Leute von der Freiwilligen Feuerwehr? Und warum wirbt die DDR nicht Arbeitslose aus der BRD an, sondern beschäftigt Vitnamesen?

Einst verbannt, heute Wende-Gewinner: Arnold Fuchs

Der Durchschnitts-Werdauer fährt inzwischen westwärts. Er ist nicht mehr gewillt, eine Westmark für eine kleine unabhängige Zeitung auszugeben. Von den zehn Basisgruppen in der Stadt hält eine durch. Die etablierten Parteien gewinnen die erste freie Volkskammerwahl. Die Bürgerbewegten übernehmen Verantwortung. Einer ist heute Werdaus Oberbürgermeister. Einer sitzt für die SPD im Stadtrat. Georg Meusel lehnt ein Angebot von Bündnis 90/Die Grünen ab. „In der Politik spielen zu viele Zwänge mit“, sagt er. Meusel arbeitet heute als freier Journalist und leitet ehrenamtlich ein Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivilcourage.

Wer das Jammern der ostdeutschen Bürgerrechtler im Jahre zehn der Einheit vernimmt, der könnte meinen, allesamt seien sie verdrängt worden, vergessen. Doch während die Intellektuellen aus den Städten ihren Konzepten nachtrauern, bleibt den Landrevolutionären keine Zeit zum Trübsalblasen. „Die intellektuelle Schicht“, sagt Zeitgeschichtler Brauckmann, „war in der Provinz derart ausgeblutet, dass die wenigen Bürgerbewegten in die Pflicht genommen wurden.“ Wem das Zeug zum Landrat zugetraut wird, der wird Landrat. Wer sich als Bürgerrechtler bewährt hat, steht in vorderster Reihe. „Wahrscheinlich weil ich einen Doktor vor dem Namen stehen hatte“, sagt der Mecklenburger Arnold Fuchs, „wurde ich zum Sprecher der Bürgerinitiative Goldberg gewählt.“

Irgendetwas muss mit dem sein. Nicht ohne Grund zieht ein anerkannter Geologe aus Greifswald in ein Kuh-Kaff hinter Güstrow. Die Goldberger wissen das.

Mit Arnold Fuchs ist was. In seiner Stasi-Akte liest er später: „Herr Fuchs ist wegen seiner religiösen Bindung nicht einzustellen“. Doch ist das nur ein Grund, warum er – „der mit den besten Ergebnissen“ – keine Assistentenstelle an der Uni Greifswald antreten darf. Der entscheidende ist wohl: Fuchs publiziert seine Doktorarbeit in Polen. Eine Doktorarbeit, deren Inhalt als vertraulich gilt. Sein Forschungsgegenstand lag im Grenzgebiet.

Er schreibt eine Eingabe an Honecker. Die Stasi wirft ihm „Disziplinlosigkeit“ vor. Sie sorgt dafür, dass seine wissenschaftliche Karriere beendet ist. Im Heimatmuseum Goldberg findet Fuchs schließlich eine Anstellung.

Goldberg, diese Ackerbürgerstadt, die ist sein Bautzen. Er selbst nennt den Gang in die Provinz wahlweise „Verbannung“, „Berufsverbot“ oder „das Kreuz, das ich tragen sollte“. Was den ehrgeizigen Geologen aber vielmehr zu schaffen macht, ist die „geistige Einsamkeit“. Zwei Wochen hält er aus in der Goldberger Neubauwohnung, dann setzt er sich in seinen Trabi und fährt ins Berliner Nikolaiviertel: „Ich muss raus.“

Arnold Fuchs, dieser kleine, schmächtige Mann, meist mit Käppi, fällt anfangs nicht auf in der Kleinstadt. Er politisiert nicht, er tritt nicht dem Gemeindekirchenrat bei, er geht morgens ins Museum und abends wieder nach Hause. Erst später mischt er mit im Kulturbund. Und im Herbst 89 wird Arnold Fuchs zum Sprecher der Bürgerinitiative gewählt.

Elf Friedensgebete werden in Goldberg abgehalten, neunmal tagt der Runde Tisch. Es geht um eine Umgehungsstraße, um den NVA-Standort Goldberg, um die Nutzung des hiesigen Sees. Der „Steppenwolf“ (Fuchs über Fuchs) wittert eine neue Chance. „Jetzt stelle ich mich zur Verfügung“, sagt er.

Umweltdezernent im Landratsamt, Abteilungsleiter im Landesamt für Umwelt und Naturschutz, heute erster ostdeutscher Abteilungsleiter im Schweriner Umweltministerium – „der Fuchs ist da“. Dass der Umweltminister ein PDS-Parteibuch hat? Fuchs gibt sich diplomatisch. Als CDUler, der er ist, sagt er: „Rot-Rot schadet dem Land.“ Als Umweltschützer sagt er: „Mit dem Minister liege ich fachlich nicht weit auseinander“. Als Bürger sagt er: „Man muss den Wählerwillen akzeptieren.“

Arnold Fuchs, 43, lebt inzwischen in Güstrow. Wer mit ihm heute nach Goldberg fährt, der spürt, dass ihm die Stadt fremd geblieben ist. Wenn ihn einer aus Bürgerbewegten-Zeiten begrüßt, grübelt er anschließend: „Wie heißt der noch?“ Wenn sein alter Museumschef über die neuen Zeiten klagt, dass es abwärts gehe mit der Kultur, dass junge Leute die Stadt verlassen und dass die einstige Garnisionsstadt nach Abzug der Soldaten dahindarbe, dann schweigt er höflich. Fuchs ist ein Gewinner der Wende.

Die Anzahl der aktiven Bürgerrechtler in der DDR wird auf 2.000 geschätzt. „70 bis 80 Prozent sind heute frustriert“, sagt Zeithistoriker Brauckmann. Die Land-Revoluzzer dagegen, sie scheinen sich eingerichtet zu haben.

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