piwik no script img

■ H.G. HolleinDuftwolke

Die Frau, mit der ich lebe, ist manchmal vergesslich. Vornehmlich, wenn es um Dinge meines täglichen Bedarfs geht. So eröffnete mir die Gefährtin bei unserem letzten Englandurlaub unmittelbar vor dem Ablegen der Fähre, dass sie sich gar nicht erinnern könne, meinen Rasierapparat eingepackt zu haben. Ihre Erinnerung trog sie nicht. Die Folge war, dass ich  anstelle  eines hippen und kurzhaarscherkopfgepflegten Drei-Tage-Bartes allmorgendlich mit rotglühenden Babybäckchen ins pulsierende Leben Londons stürmte. Da zur mannhaften Nassrasur auch eine männliche Duftnote gehört, hatte ich noch auf der Fähre kurzentschlossen ins Regal gegriffen und ein Aftershave erstanden. Da ich nicht eitel bin und auch kein Freund unnötiger Ausgaben, umwehte mich daher ein steter Hauch von „Lynx“ – zu gut deutsch Luchs –, womit meine olfaktorische Ausstrahlung auf die Umwelt einigermassen zutreffend beschrieben ist. Auch die Gefährtin hielt sich geflissentlich von mir fern. Das hat uns möglicherweise das Leben gerettet. Die Gefährtin trägt nämlich einen BH mit Drahtbügelfütterung und hält gern Händchen. Das mag jeweils nicht sonderlich bedrohlich klingen, wurde aber in dieser Kombination – wie die BBC nicht ohne pikierten Unterton vermeldete – zwei jungen Frauen zum Verhängnis, die unter anderem mit ebensolchen BHs angetan Hand in Hand bei einem Gewitter durch den Hyde Park gingen. Vielleicht hätte sie der Blitz ja trotzdem getroffen, aber Drahtbügel plus gleichgeschlechtlicher Körperkontakt verliehen im Spiegel der englischen Medien dem Vorgang denn doch etwas von einem göttlichen Strafgericht. Unter dem Eindruck dieser Tragödie war ich – immer wenn sich über London die Wolken am Himmel zusammenzogen – nicht länger allzu gekränkt, wenn die Gefährtin luchsbedingt ein paar Schritte hinter mir ging.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen