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Nichts von Dauer

■ Auf halber Strecke verlieren die Ungarn plötzlich die Lust: In der Galerie Barakk wird die Geschichte zur trügerischen Baustelle

Am Bild der Vergangenheit wird unentwegt gebastelt, um die Gegenwart zu begründen: Das hat Ungarn mit vielen Ländern und der Stadt Berlin gemein. Die Spezialität der Ungarn, meint der Künstler Victor Kégli, sei es allerdings, auf halber Strecke die Lust zu verlieren. Als Beispiel erzählt er von einem schönen Parlamentsgebäude, das sich die Ungarn bauten; nur dass sie vergaßen, auch ein Parlament zu wählen.

Deshalb erklärt Kégli, der in Deutschland aufgewachsen ist und das Land seiner Eltern aus der Distanz beobachtet hat, eine defekte Waschmaschine zur Metapher ungarischer Identitätsbildung. Auf ihr steht ein Kassettenrecorder, aus dem der Refrain des „Nationalliedes“ von Sándor Petofi tönt: „Waschen wir die Schande weg von unserem Vaterlande.“ Unentwegt rumpelt die Maschine, doch die T-Shirts mit dem Aufdruck „I love Ungarn“ werden nie sauber.

Was könnte besser zu dieser steten Halbfertigkeit passen als ein Baucontainer, der zum Platzhalter für ein abgerissenes Palais und ein neu zu gründendes Institut geworden ist. In der Dorotheenstraße in Mitte steht nahe der Humboldt-Universität eine Baracke. Die Universität wollte dort 1986 ein „Wohnhotel Kommerz“ für Studenten errichten, die gegen Devisen in der DDR studieren durften. Nichts mehr in dieser Baracke und auf dem Grundstück erinnert an das Collegium Hungaricum, das hier von 1925 bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg in einem großen Palais untergebracht war. Für die Hauptstadt der DDR stellte die einstige Eliteschule kein verwertbares historisches Kapital dar, wurde sie doch mit dem ungarischen Nationalismus der Zwischenkriegszeit identifiziert. Auch die Republik Ungarn selbst beantragte erst 1991 die Rückübertragung des Grundstücks. Doch bevor die Baracke im nächsten Sommer abgerissen wird, haben die Aktionsgalerie und das Haus Ungarn den Flachbau kurzfristig zur Galerie Barakk erklärt. In einer Ausstellungsreihe mit osteuropäischen Künstlern wird die Beseitigung unerwünschter historischer Spuren zum Thema.

Die Ausstellung „vergangene Räume“ bildet das zweite Kapitel. Mit der spurlos verschwundenen Architektur des Collegium Hungaricum an dieser Stelle setzt sich besonders Gusztáv Hámos auseinander, indem er den Grundriss des Palais in Fragmenten im Container abbildet: Dort, wo der Innenhof war, läuft man plötzlich über knirschende Kieswege auf die Gartenseite des Gebäudes zu, bis deren projiziertes Abbild vom eigenen Schatten verdrängt wird. Am anderen Ende des labyrinthischen Ganges steht man plötzlich vor flackernden Leuchtstoffröhren, die in einer gestaffelten Anordnung Wände und Türen durchbohren.

Nach wehmütiger Trauerarbeit sieht das nicht aus. Die Durchdringung der Zeit- und Architekturräume dient hier nicht ehrfürchtiger Gedenkkultur, sondern versucht eher, die Geschichte der Umbewertungen im Gedächtnis zu verankern. Die Bausubstanz der Baracke selbst ist so wenig für die Dauer gemacht, dass die Künstler Wände herausnehmen und Gänge verbauen konnten. Ein verwinkelter Zickzackkurs führt durch die Kabuffs, die für alles etwas zu eng sind. Besonders die geometrischen Muster, mit denen Nicole Henschke und György Vágó die Wände überzogen haben, lassen die Wahrnehmung psychedelisch schwanken. Den letzten Raum hat Gyöngyi Seres mit konkav gebogenen Scheiben aus Licht und weißem Stoff gefüllt, an denen man sich knapp vorbeiquetschen kann.

Die Einbuchtungen der Formen erinnern an Arkaden: Nur dass hier Fülle und Leere, Material und Raum den Platz getauscht haben. Das muss man nicht mehr auf die konkrete Geschichte des Ortes beziehen, sondern kann es als Versuch begreifen, Räume umzustülpen und Architektur auf den Kopf zu stellen. Katrin Bettina Müller ‚/B‘Galerie Barakk, bis 4.12., Di bis Mi 14 bis 18; Do ab 18 Uhr (mit Bar), Dorotheenstr. 12

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