■ Press-Schlag: Abstieg für Geld? Radiophoner Spaziergang mit Milena (Teil 3)
Als Milena (20 Monate) am Samstag um 15.30 Uhr des fiesen Schneeregens ansichtig wird, dringt aus der Kapuze ihres neuen Thermo-Öko-Polaranzugs ein langgezogenes, angewidertes „Uuuuuhhh!“. Für Bambino-linguistisch Eingeweihte ist dies unschwer als „Unterhaching“ zu identifizieren – sie wollte auf die witterungsbedingte Unbegehbarkeit des Frankfurter Stadtwalds verweisen und plädierte auf Spaziergangausfall. Aber Fußballväter kennen nichts: Samstags von 15.30 bis 17.20 Uhr wird im Wald Radio gehört – Hessischer Rundfunk hin, Schietwetter her. Milena quittierte die Beharrlichkeit des Vaters mit ihrer Deutung des Worts „Schlafwagenfußball“: Sie sprach mehrfach „Ado“, womit nicht Gardinen, sondern Papas Radio gemeint war, und nahm dann ein Nickerchen.
Daraus erwecken können hätte sie allenfalls ein Hertha-Torschrei des Vaters – aber der fiel ja mal wieder aus. Ja, die Hertha. Vernünftig wäre ja jetzt Folgendes: Die Berliner verabschieden sich am 30. 11. in Mainz unauffällig aus dem Pokal, bestreiten die sechs Champions-League-Zwischenrundenspiele mit einer Ersatzmannschaft (sie haben eh mehr erreicht, als irgendwer ihnen zugetraut hatte) und konzentrieren sich lieber ganz auf den Klassenerhalt. Die Lage ist nämlich so ernst wie vor zwei Jahren – nur dass die Kraft und die damalige Unschuld fehlt, um das Blatt zu wenden. Die Hertha läuft vielmehr Gefahr, spätestens in den vier englischen Wochen im März mit viel Energie und international geachtet die letzte Chance auf Rettung in der Liga zu verspielen – und dazu noch die Kondition, die man zum Wahrnehmen der allerletzten Chance benötigt. Wieso also wird das Vernünftige nicht geschehen? Wieso sind die in der Liga so schwach und lassen erahnen, dass sie Kräfte sparen für Barcelona, Porto und Prag?
Die dazugehörige Verschwörungstheorie heißt „Bosman-These“! Über die bösen Folgen der Champions League für die Bundesliga ist ja bereits genug geschrieben worden, aber komplett vernachlässigt wurde bisher die fatale Kombination von Champions League und Bosman. Folgender – komplett unbewiesener – Verdacht drängt sich nämlich auf: Die Hertha-Spieler hängen sich in den Champions-League-Spielen mordsmäßig rein (und riskieren dafür in schwachen Ligaspielen die Erstklassigkeit ihres derzeitigen Arbeitgebers), weil sich das mehr lohnt für sie. Hertha-Manager Dieter Hoeneß sagte schließlich nicht umsonst nach der Qualifikation für die Zwischenrunde, finanziell brächten die Uefa-Punkteprämien in Millionenhöhe dem Verein rein gar nichts, da die ganze Kohle direkt an die Spieler weitergereicht werde. So geht das also: Fünf gute Spiele in Europa, fett abkassieren und dann nach dem Abstieg der Hertha zu Milan, Chelsea oder Porto wechseln. Dort kennt man die Spieler ja von ihrer besten Seite.
Milena – schlaf weiter und bewahr dir deine Unschuld!
Live vom Jacobiweiher:
Oliver Thomas Domzalski
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