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Von Abtreibung und SS

Die Messe ist heilig. Aber der Priester ist nicht der Papst. Wenn es um den Schutz des ungeborenen Lebens geht, kann ein guter Katholik dem Pfarrer schon mal sagen, dass er nicht der Papst ist – auch in der Messe  ■   Aus Bremen Christoph Dowe

„Wenn eine Schadensbegrenzung Unrecht rechtfertigt, hätten wir alle Mitglieder der SS werden müssen.“

An jenem Sonntag gab das Gemeindemitglied Franz Cesarz seine Zurückhaltung auf. Drastisch. Vielleicht berechnend. Jedenfalls provokativ. Mitten in der Predigt des Pfarrers Jörg Buß hob es ihn von seiner harten Kirchenbank in der Kirche Sankt Ursula in Bremen. „Das ist eine schlechte Predigt“, rief er laut in Richtung des weißmarmornen Altars. Und direkt zum Pfarrer: „Sie sind nicht der Papst. Auch nicht der Papst von Sankt Ursula“.

Der Pfarrer berichtet später von bleichen Gesichtern, die sich dem Störer, dann ihn selber zuwendeten. Getuschel. „Jetzt lass den Pfarrer seine Predigt beenden“, sagte jemand. Zustimmendes Gemurmel. Doch der Pfarrer nahm den Fehdehandschuh auf. „Ich bin auch getauft. Mir wurde auch der heilige Geist geschenkt – wie Ihnen allen hier“, hörte er sich auf einmal rechtfertigen, warum er sich seine Meinung zum Thema Schwangerenkonfliktberatung nicht verkniffen und papstkritische Töne angeschlagen hatte. Und bekam Beifall.

Cesarz entgegnete etwas, bekam ebenfalls – aber eher spärlich – Beifall. Widerworte des Pfarrers: „Ich führe nicht nur den Willen der großen Kirche aus.“ Wieder klatschte die Mehrheit der Gemeinde für den Pfarrer und für das Bekenntnis zu mehr innerkirchlicher Demokratie. Cesarz setzte sich, die Predigt wurde fortgesetzt.

Wie hatte Pfarrer Buß das Gemeindemitglied so aus der Reserve gelockt? Cesarz ist fest davon überzeugt, dass ein Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung für die Katholiken „der richtige Weg“ sei. Und hat sich nicht die deutsche Bischofskonferenz dem Willen des Papstes gebeugt? Schwangere Frauen, die sich mit dem Gedanken an eine Abtreibung tragen, sollen von den katholischen Beratungsstellen keinen „Beratungsschein“ mehr bekommen, der die straffreie Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftswochen ermöglicht. Morgen wollen sich die Bischöfe dazu äußern, wie es mit der katholischen Beratung durch Laien weitergehen soll. Weitergehen kann. Vielleicht. Letzte Woche hatte der Papst nochmals die renitenten deutschen Bischöfe aufgefordert, „einmütig und klar das Evangelium des Lebens“ zu bezeugen. Und was für die Bischöfe gilt, gilt für die Laien ja wohl erst recht.

Darauf war Pfarrer Buß in seiner Predigt eingegangen und hatte Partei für eine Fortsetzung der Beratung ergriffen. Regt euch nicht zu sehr auf, Konflikte zwischen Rom und den Landeskirchen hat es in der Geschichte immer gegeben, war die Botschaft. Die zentrale These: Der Heilige Geist wirke nicht von oben, sondern von unten. Für die gleiche Predigt hatte er bereits am Abend vor der Sonntagsmesse Applaus bekommen – schon das war ziemlich ungewöhnlich. „Ich habe vier Päpste überlebt. Den fünften werde ich wohl auch noch überleben“, hatte Buß in Solidarität mit dem Kirchenvolk gesagt, unmittelbar bevor Cesarz „der Kragen platzte“.

Auf dem hauseigenen Flügel im Wohnzimmer von Franz Cesarz liegt neben den Stapeln mit belletristischen Neuerscheinungen die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der alte Parkettboden der kleinen Bremer Villa knarrt beim Auftreten bedächtig. Von einem Hardliner hat Cesarz nicht viel. Bevor er etwas sagt, denkt er zuweilen lange über die zu wählenden Worte nach – und erwartet ganz selbstverständlich von seinem Gegenüber, dass Geduld vorhanden ist. Er wirkt nachdenklich, intellektuell – und will es wohl auch. Der verrentete Chef der Lufthansa-Pressearbeit verkauft sein Anliegen ziemlich professionell. Über das Thema, dass den 74-Jährigen derzeit fesselt, kann er wahlweise abstrakt, theologisch oder weltlich diskutieren: Mit seiner Forderung, dass die katholische Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung aussteigt, stellt er sich gegen die Meinung der Mehrheit der deutschen Gemeindemitglieder und auf die Seite des Papstes.

Vielleicht war es nur die „weitausholende Geste“, die der Pfarrer gemacht haben soll, um seine Worte zu unterstreichen. Vielleicht fiel Cesarz auch gleich das Stalin-Zitat ein, das er später in einem Brief an den Pfarrer zitiert: „Die Hitler kommen und gehen, aber Deutschland bleibt.“ Wahrscheinlich aber ging es nicht nur um die Schwangerenkonfliktberatung, sondern darum, ob ein Pfarrer das Wort des Papstes in Zweifel ziehen darf. Und damit um den zentralen Konflikt zwischen aufgeklärten und traditionalistischen Katholiken.

Zunächst aber argumentiert Cesarz streng am Thema. Bei wie vielen Kindern, die durch eine katholische Schwangerenkonfliktberatung doch noch zur Welt kommen, lohne es sich, im Beratungssystem zu bleiben und sich „am Unrecht“ weiter zu beteiligen? Unrecht. Das war der Punkt, an dem Cesarz seine Nachdenklichkeit aufgab – schriftlich. „Wenn eine Schadensbegrenzung die Beteiligung an Unrecht rechtfertigt, hätten wir alle Mitglieder der SS werden müssen“, schreibt er dem Pfarrer. Und: „Die Bischöfe wollen, dass wir der SS beitreten, damit ein paar Juden weniger vergast werden, der Papst nicht.“

Und argumentiert nicht die Kirche, bis zu 4.000 Kinder pro Jahr erblicken gerade wegen der katholischen Konfliktberatung doch noch das Licht der Welt – weil den Müttern Mut für die Schwangerschaft und das Danach gemacht werden konnte? Von den bundesweit 1.700 Beratungsstellen, die Lebenshilfe für Schwangere anbieten, werden 270 Einrichtungen vom katholischen Caritas-Verband, vom Sozialdienst katholischer Frauen oder katholischen Eheberatungsstellen betrieben. Im Jahr rund 20.000 „Konfliktberatungen“, an deren Ende die Ausstellung des Scheins stehen kann, der zur Abtreibung berechtigt.

Das Hauptmerkmal von Jörg Buß ist eine sanfte Stimme, die sich wohl zur Predigt besonders eignet. Mit seinen 42 Jahren ist der Pfarrer schon fast ganz ergraut. Vor viereinhalb Jahren übernahm er die Gemeinde Sankt Ursula im schicken Bremer Stadtteil Schwachhausen von einem Dominikanerpriester. Nicht ganz leicht hatte es der ehemalige Studentenpfarrer aus Lübeck wohl anfangs in seiner Gemeinde, die vom Pressesprecher der Katholiken in Bremen, Wilhelm Tacke, als „Pelzmantelgemeinde“ bezeichnet wird. Im bastenen Kollektenkorb landen an einem ganz normalen Sonntag durchaus auch 50-Mark-Scheine. Der Chef der Stahlwerke kommt sonntags ebenso wie der Wirtschafssenator, dessen Frau im Pfarrgemeinderat sitzt.

Inzwischen kommen die Leute wegen der Predigt auch von weiter her. Ein paar hundert Menschen sammeln sich Sonntag für Sonntag in der Kirche. Dabei ist hier die Diaspora: Nur 68.000 der Bremer haben glaubenstechnisch mit Rom zu schaffen. 276.000 dagegen sind evangelisch. Die Bereitschaft von Pfarrer Buß, über den Vorfall in seiner Kirche zu sprechen, ist dennoch eher bescheiden. „Überhaupt nicht strittig“ sei, dass „jeder aufrechte Katholik gegen die Abtreibung“ sei. Aber der Minderheit der Bischofskritiker tue man „zuviel Ehre“ mit medialer Aufmerksamkeit an, sagt Buß und redet von einem „mittelalterlichen Kirchenbild“ der Kritiker.

Zu deren Sprachrohr hat sich in den letzten Monaten die FAZ gemacht. Eifrig wird seit Wochen im Feuilleton und auf der Leserbriefseite Argumentationsmunition für den Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung gesammelt. Auch ein Leserbrief von Franz Cesarz wurde abgedruckt. Darin hatte er den Rücktritt der papstkritischen Bischöfe gefordert.

Pfarrer Buß vermutet, dass es den Kritikern wenig um die Sache selbst geht. Vielmehr „passt denen die gesamte Entwicklung nach dem zweiten Vatikanischen Konzil nicht“, sagt er. Damals, zwischen 1962 und 1965, wurde in Rom – zumindest in der Tendenz – beschlossen: Fortan habe der Klerus dem Volk zu dienen und nicht umgekehrt. Ein Dogmenwechsel, dem eine vorsichtige Demokratisierung folgte. Hätte Buß damals nicht „Aufbruch und frischen Wind“ in der Kirche zu verspüren geglaubt, aus ihm wäre vielleicht nie ein Priester geworden.

Dabei sagt auch Buß: „Hierarchien in der Kirche muss es geben.“ Aber der Diskussion über den richtigen Weg dürfe sich Rom nicht verschließen. Und ein katholischer Pfarrer „muss auch mal seine Meinung sagen dürfen“. Dennoch, sagt er, schätzt er den Papst – besonders für dessen Engagement in Osteuropa und die weltweiten Menschenrechte.

Das genügt Franz Cesarz nicht. „Buß verteidigt den Papst als Politiker, aber nicht als Papst.“ Die Ordnung der Kirche und besonders die hervorgehobene Rolle des Papstes müssten respektiert werden. Wenn der Papst nicht das letzte Wort habe – dann befürchtet Cesarz „unendliche Diskussionen aller mit allen über alles und ohne Ende“. Nur im Papst, der sicherlich nicht sakrosant sei, verkörpere sich die Einheit.

Dass er sich mit seiner Position innerhalb von Sankt Ursula ins Abseits gestellt hat, ist Cesarz klar. „Über mich rümpft man jetzt die Nase.“ Selbst Katholikensprecher Wilhelm Tacke nennt den einstigen Lufthansa-Pressereferenten nun einen „bekannten Fundi“. Ende November wird in der Gemeinde der Kirchenvorstand und der Pfarrgemeinderat neu gewählt. Cesarz rechnet sich jetzt keine Chancen mehr aus, erneut in den Vorstand berufen zu werden, dem er jahrelang angehörte. „Von der Mehrheit bekommt man meistens Beifall für die falsche Sache“ sagt er. Was ihn wurmt, ist, links liegen gelassen zu werden. „Eigentlich hätte ich für den Einspruch zurechtgewiesen werden müssen“, sagt er. Doch nicht einmal das. In kurzen Worten stellte sich der Pfarrgemeinderat bei einer Sitzung hinter den Pfarrer – ohne viel Aufhebens um die Sache, also Cesarz' Ungehorsam, zu machen. „Totenstille“ herrsche nun in der Gemeinde, sagt Franz Cesarz.

Das stimmt nicht ganz. Erst jüngst, fragte Pfarrer Buß an einem Sonntag in der Predigt, wer laut Bibel als „Vater“ bezeichnet werden darf. Der Heilige in Rom? Der Einzige im Himmel? In der Bibel jedenfalls fände sich durchaus eine Abkehr vom Patriarchalismus wieder, sprach er mit seiner ruhigen Stimme vor den gut gefüllten Reihen. Die Kirche sei darauf angewiesen, sich immer wieder zu reformieren – sonst ersticke das Leben in ihr. Vielleicht war der Schlussakkord ja so etwas wie ein stichelndes Friedensangebot an den Widersacher Franz Cesarz. „Die Kirche lebt nicht von unten“, hob er schließend an, „aber auch nicht von oben. Die Kirche lebt von ganz oben.“

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