Das Portrait: Der schwule Exzentriker
■ Quentin Crisp
„Ich bin aus meiner Garderobe herausgewachsen, es wird Zeit, dass ich sterbe“, sagte Quentin Crisp vor kurzem. „Aber ich sterbe einfach nicht.“ Vorgestern ist er doch gestorben, an einem Herzinfarkt, einen Tag vor Beginn seiner letzten England-Tournee mit seiner Einmannshow „An Audience with Quentin Crisp“. Er wurde 90 Jahre alt.
Crisp war Modell, Schriftsteller, Schauspieler und vieles mehr, aber vor allem war er ein Exzentriker, der im London der 30er-Jahre durch sein sorgfältiges Make-up, seine rot gefärbten Haare und seine extravagante Kleidung mit Federboa und Seidenschals auffiel – und oft genug verprügelt wurde, weil es damals nicht üblich war, dass Männer ihre Homosexualität offen zeigten. Als er wegen Prostitution angeklagt wurde, machte er den Gerichtssaal zu seiner Bühne. „Wer könnte am helllichten Tag in einer belebten Londoner Straße auf irgendeinen Kunden hoffen, wenn er so aussieht wie ich?“, beendete er sein Plädoyer und wurde freigesprochen. Die Polizisten verbannten ihn aus Rache aus Soho. Mit der Schwulenbewegung hatte Crisp nichts im Sinn. „Es ist nicht normal, schwul zu sein“, sagte er. „Ich finde Leute sehr merkwürdig, die denken, dass es normal ist.“
Quentin Crisp (90). „Der nackte Beamte“ starb am Samstag Foto: AP
Crisp wurde am Weihnachtstag 1908 in der Grafschaft Surrey geboren. Dennis Pratt, wie er damals hieß, war das jüngste von vier Kindern. Sein Vater war Anwalt, seine Mutter Kindergärtnerin. Nach dem Internat studierte er Journalismus, was er als Zeitverschwendung empfand. Längst wusste er, was er wollte: sich selbst feiern. Um zu überleben, arbeitete er eine Weile als Buchillustrator. Später malte er Gesichter auf Puppen und stand Modell in Kunstschulen. Daher stammt auch der Titel seiner Autobiographie: „The Naked Civil Servant“ – „Der nackte Beamte“.
1977 kam er zum ersten Mal nach New York und blieb gleich da. Seine Wohnung auf der Lower East Side machte er, wie schon sein Zimmer in Chelsea, niemals sauber. „Nach vier Jahren wird es nicht mehr dreckiger“, sagte er. Obwohl es mit seiner Gesundheit bergab ging, verbrachte er täglich anderthalb Stunden mit Schminken. Crisp hatte einmal gesagt, er würde gern alleine sterben. „Wenn du vor anderen Leuten stirbst, musst du höflich sein. Du musst Dinge sagen wie: Sagt Monika, dass ich sie liebe.“ Auf die Frage, was er denn gern in seinem Nachruf hätte, antwortete Crisp: „Herr Crisp dankt der Welt, dass sie ihn so lange bleiben ließ.“
Ralf Sotscheck
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