: „Keiner soll wissen, wann ich angreife“
Mit dem 3.000-Meter-Hindernisläufer Christopher Koskei könnte Kenia einen Protagonisten bekommen, der barfuß die Schuhartikel-Promotion seines Sponsors ad absurdum führt ■ Aus Göteborg Peter Unfried
Ein Mann läuft hinterher. Gemütlich, fast gelangweilt trabt er am Schluß des Feldes. Und das versetzt die Zuseher in ziemliche Aufregung. Denn die Frage lautet nun Runde für Runde: Wann kommt er? Doch in diesem 3.000m-Hindernis-Halbfinale kommt und kommt er nicht. Als die Glocke zur letzten Runde ertönt, fehlen ihm fast zehn Meter zum Vorletzten. Doch dann geht ein Raunen durch das Ullevi-Stadion: Christopher Koskei zieht an! Binnen Sekunden ist er in der Mitte des Feldes, läßt einen nach dem andern stehen, auf der Zielgeraden aber nimmt er schon wieder den Gang raus und trudelt gemütlich auf dem finalqualifizierenden dritten Rang ein.
„Christopher Koskei“, sagt der Weltmeister und Weltrekordler Moses Kiptanui, „ist wahrscheinlich der Mann, der mich einmal ablösen wird.“ Was nichts besonderes ist in Kenia. Wie üblich fielen bei den WM-Trials vor ein paar Wochen in der Nähe Nairobis zahlreiche Etablierte dem Alles-oder- Nichts zum Opfer. Im 3.000m-Hindernislauf allerdings setzten sich mit Doppelweltmeister Kiptanui (etwa 23) und Olympiasieger Matthew Birir (etwa 23) fast schon alte Kämpen durch. Nur Athletensprecher Julius Sang (etwa 30), zuletzt dreimal Vize bei WM und Olympia, stürzte und schaffte es nicht mehr. Dafür darf sich im heutigen Finale (17.30 Uhr) nun Koskei (etwa 21) versuchen in jener Disziplin, die Kenia wichtig wie keine andere ist. Hier haben Biwott und Keino in Mexiko und München Gold geholt, hier hat alles angefangen. Hier taucht in der Jahresbestenliste unter den ersten Zehn nur ein Nichtkenianer auf. Hier soll die Bilanz geschönt werden, die Kenias Funktionäre bisher als desaströs empfinden. Bis Donnerstag hatte Kenia nur einmal Bronze gewonnen.
Warum Kenias Läufer, zumeist dem Stamm der Nandi zugehörig, generell so schnell sind, ist oft erklärt worden, hängt zum einen mit ihrer Jugend zusammen, die sie laufend verbringen, dem permanenten Aufenthalt in der Höhe, der die roten Blutkörperchen vermehrt. Und hat schlicht existentielle Gründe: Da geht es um die Existenz ganzer Großfamilien. Weltmeister Kiptanui etwa hat einmal in Europa 184.000 Mark mit drei Läufen verdient. Von dem und anderem erlaufenen Geld hat er in Eldoret, dem Läufer-Eldorado im Nordwesten, ein kleines Imperium aufgebaut. Und ist damit das beste „role model“ für die soziale Potenz eines rennenden Selfmademan.
Für Christopher Koskei hat gerade erst alles angefangen. Wie alle Jungen ist er barfuß gerannt, doch im Gegensatz zum Rest besteht er darauf, die Schuhe auch heute noch auszulassen. Was seinen US- Sponsor etwas in Bedrängnis bringt. Der hatte ihn gebeten, die Schuhe, für die er wirbt, auch zu tragen. Koskei aber sagt: „Ich laufe ohne Schuhe besser.“ Barfuß laufen sei „gut“. Was stimmt, doch unter Marketingaspekten als dem Vertrieb nicht zuträgliche Aussage einzuschätzen ist. Vielleicht hat Koskei beim Verteilungskampf der Nike-Gelder bisher auch nur nicht genug abbekommen. Nun rennt Koskei nicht nur barfuß, sondern auch ohne Taktik, und er springt praktisch ohne Technik.
Der Kasseler Martin Strege schätzt, seine Defizite am Balken würden ihn „etwa eine halbe Sekunde pro Sprung“ kosten. Am Wassergraben muß gar jedesmal mit seinem Ertrinken gerechnet werden. Allerdings, sagt Strege, der ebenso wie Steffen Brand für das Finale qualifiziert ist, sei er bei der DLV-Gala in Duisburg im Juni „noch ganz schlecht gewesen.“ Nun liegt seine Bestzeit (8:06.86) gerade viereinhalb Sekunden unter Kiptanuis Weltrekord. Und das, obwohl er also im Laufe des Rennens 35mal Zeit verliert. Da ist es kein Wunder, daß Leute, die ihn kennen, Fragen nach seiner Intelligenz mit der Aussage parieren, sein Talent sei außergewöhnlich.
Der etablierte Manager Jos Hermens betreut generell keine Kenianer mehr. „Sie sind nicht klug“, wird er zitiert. Und rennen sich undosiert schnell ins Verderben. Und fangen an zu saufen, wie Richard Chelimo. Ob Koskei auch so einer ist, muß sich zeigen.
Auch Kiptanui, der sein Halbfinale sah, hat anerkennend genickt: „Er hat das Zeug, zu gewinnen. Und wenn er das schafft, kein Problem: Er ist aus Kenia. Die Hauptsache ist, wir werden 1-2-3.“ Ein Sieg muß her! Ob Koskei tatsächlich auch an Kiptanui vorbeikommt, muß sich zeigen. Wenn es stimmt, was er sagt, wird er sich jedenfalls der üblichen gemeinsamen Strategie nicht unterordnen, sondern wie stets von hinten kommen. Und gegebenfalls diesmal auch einen längeren Spurt anziehen. „Keiner soll wissen, wann ich angreife“, sagt Christopher Koskei, „das wird eine Überraschung.“
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