: Diese Menschen wollen Shell kaputtmachen
■ Um die Versenkung der Ölplattform Brent Spar im Atlantik zu verhindern, hat sich in Deutschland eine Allianz gebildet, wie sie bisher unvorstellbar war. Und sie könnte das Unvorstellbare schaffen. Der Ölriese ist angeschlagen und zeigt Anzeichen von Schwäche.
Den Haag/Shetlandinseln/Berlin (taz) –Shell duckt sich. Ab einer gewissen Stärke kann auch der größte Konzern der Welt die Flut von Protesten nicht mehr ignorieren. So wurden die Zeitungsanzeigen im Rahmen einer 30 Millionen Mark schweren Werbekampagne in Deutschland gestoppt. Die sozialen Projekte der Aktion – wie Initiativen für mehr Verkehrssicherheit und zugunsten Behinderter – laufen jedoch weiter. „Es ist gegenwärtig nicht sinnvoll, Anzeigen zu schalten“, sagte Shell-Sprecher Thomas Müller gestern. „Es ist nicht rüberzubringen, daß wir auf die britische Shell keinen Einfluß haben.“
Die Slogans der Kampagne liefen unter dem Motto „Wir wollen etwas ändern“. Manche Sprüche sind angesichts des Boykottaufrufs von Umweltverbänden und Parteiprominenz klassische Eigentore: „Der einzelne ist gefragt. Zum Beispiel Sie.“ Das ließen sich die KundInnen des Ölkonzerns in den vergangenen Tagen nicht zweimal sagen. Sie tankten woanders. Die Werbung des Konzerns mahnt unfreiwillig: „Unser Engagement kann nur ein Anfang sein. Wir möchten Menschen dazu bringen, eingefahrene Verhaltensweisen zu überdenken.“
Nach deutlichen Geschäftseinbußen der deutschen Shell-Tankstellen greift der Verbraucherboykott nun auch auf die Niederlande über. PolitikerInnen wie Wirtschaftsminister Hans Wijers und Umweltministerin Margreet de Boer erklärten, daß sie nicht mehr bei Shell tanken wollen. Der niederländisch-britische Ölriese startete deshalb am Mittwoch eine umfassende Pressekampagne. „Die Niederländer sind schlecht informiert. Wir mußten die Dinge geraderücken“, so ein Shell- Sprecher.
In den Vorstandsetagen des Royal Dutch/Shell-Konzerns wird anscheinend überlegt, die Brent Spar nicht zu versenken. „Wenn wir von der Gesellschaft nicht unterstützt werden, haben wir keine Bedenken, nach einer anderen Lösung zu suchen“, sagte Jan Slechte, Direktor der Shell Niederlande, vorgestern im abendlichen Fernsehprogramm. Vor allem den Einfluß, den Greenpeace auf die öffentliche Meinung ausübt, habe man bei Shell unterschätzt. Slechte weiter: „Die britische Regierung ist gefragt. Wenn der Beschluß überprüft würde, wäre Shell der erste, der wieder am Tisch sitzen würde.“
Obwohl sie live über den Äther gingen, dementierte gestern ein Konzernsprecher die Aussagen seines Chefs. Es gebe von seiten der Shell kein Gesprächsangebot, das seien „Fehlinterpretationen“. Offiziell wird also noch gebunkert.
Das scheint auch die Taktik von Slechtes britischen Kollegen zu sein. Die Plattform wird weiter auf die See hinausgeschleppt. „Unsere Position zur Verklappung der Brent Spar ist eindeutig und bleibt unverändert“, sagte Graham MacEwen, Pressesprecher der Shell UK, in Aberdeen. „Wir befinden uns nicht in Verhandlungen mit der britischen Regierung. Es besteht dazu keine Veranlassung. Wir haben die Genehmigung vor Wochen erhalten.“ Das britische Government zeigt sich ebenfalls kühl. „Es wird keine Änderung der Politik in dieser Angelegenheit geben“, so Fiona Dick, Sprecherin des zuständigen Ministeriums für Handel und Energie.
Bundeskanzler Helmut Kohl will jedoch auf dem Weltwirtschaftsgipfel im kanadischen Halifax über die Brent Spar mit den Briten sprechen, weil er mit dem Versenken nicht einverstanden ist. Der Pfälzer zeigte sich gewohnt pragmatisch: „Wenn ich eine Firma hätte, würde ich nicht ein Verhalten an den Tag legen, das das Geschäft negativ beeinflußt“, sagte Kohl.
Greenpeace hat unterdessen beim Abschleppmanöver verschiedene technische Defekte festgestellt, durch die die Gefahr einer unvorhersehbaren Umweltbelastung gewachsen sei. Drei Bojen, die die gekappten Ankerketten der Brent Spar an der Wasseroberfläche halten sollten, seien gerissen. Das sagte Jonathan Castle, der Kapitän des Greenpeace-Schiffes „Altair“. An zwei der Ketten ziehen die Schlepper, die anderen vier werden als Sicherheitsketten hinter der Plattform hergezogen.
Im Augenblick für Greenpeace schlimmer ist jedoch der Haftbefehl, der gestern morgen gegen Jonathan Castle ausgesprochen wurde. Am Mittwoch hatten schottische Gerichtsbeamte versucht, eine Vorladung vor den Court of Appeal in Edinburg zuzustellen. Das klappte nicht; Castle ist nicht vor Gericht erschienen. Greenpeace- Sprecher Gijs Thieme: Theoretisch könnten sie ihn nun von Bord der „Altair“ holen. Sollte es gelingen, Castle zu verhaften, werde der Protest von anderen Aktivisten übernommen.
Die internationalen Mineralölkonzerne wollen noch weitere 53 hochgiftige Ölanlagen an ihren derzeitigen Standorten in der Nordsee sprengen, sagte Greenpeace- Sprecher Hamdan Fouad. Die Versenkung der Brent Spar sei ein Präzedenzfall. „Es soll getestet werden, wie groß der Widerstand ist.“ Harald Neckelmann/Hans-Jürgen Marter
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