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■ Heute nehmen Israel und Syrien die Verhandlungen über die Rückgabe des Golan wieder auf. Trotz Protesten: Israel wird sich wohl von dem strategisch wichtigen Höhenzug trennenNicht mehr auf der Höhe

Sollten die Israelis mehrheitlich für den Abzug stimmen, dann würden selbst die Siedler freiwillig ihre Koffer packen

„Ich wünschte, ich könnte hierbleiben. Aber das ist eine Illusion.“ Lächelnd versucht Jael Arnon ihre Traurigkeit zu verdrängen und wischt seufzend die Krümel vom Küchentisch. Unmittelbar nach ihrer Hochzeit zog sie auf die Golanhöhen. Damals „konnten wir noch etwas aufbauen“, erinnert sie sich. „Jedes Haus, jeder Stall ist ein Teil von mir.“ Jaels geschmackvolle Kücheneinrichtung mit Holz und Marmor ist noch keine fünf Jahre alt. Damals begann der Privatisierungsprozess in Jaels Kibbuz „Ain Siwan“. Jael und ihr Mann sind seither in der Stadt berufstätig, fahren einen eigenen Wagen und wirtschaften in die eigene Tasche.

Natürlich sei schon vor fünf Jahren über den möglichen Abzug gesprochen worden, doch „ich genieße mein Zuhause bis zum Schluss“. Wenn eines Tages andere Leute in ihrem Haus leben werden, „vielleicht ein syrischer Offizier mit seiner Familie oder mit seiner Geliebten, dann hoffe ich nur, dass er mich einmal einlädt“.

In Sichtweite des Kibbuz liegt die Windenergie-Station von Joaw Zur. 16 Windräder liefern hier ausreichend Strom für den gesamten Golan. Für Joaw Zur ist die Station ein Lebensprojekt. Der Endfünfziger lebt ähnlich wie Jael seit 25 Jahren auf dem Golan. Wie seine Nachbarin fuhr Joaw diese Woche nicht nach Jerusalem, sondern verzichtete auf die Demonstrationen gegen den Abzug. „Wir wussten genau, was Barak plant“, sagt er. „Trotzdem hat die Mehrheit ihm seine Stimme gegeben.“

Tatsächlich hatte der neue Premierminister im Wahlkampf seine Absichten nie verhehlt. Ehud Barak hatte den Abzug als einzige Möglichkeit für eine Friedenslösung dargestellt – auch und immer wieder vor Golanbewohnern. Dessen ungeachtet stimmten 57,3 Prozent der Bevölkerung im annektierten Land für den Sozialisten. „Der Dritte Weg“, die Partei, die mit dem einzigen Thema „Gegen einen Abzug vom Golan“ zu den Wahlen antrat, kam bei der betroffenen Bevölkerung auf keine 15 Prozent. Landesweit erreichten die Generale, die einst das umstrittene Land eroberten, sogar noch weniger Stimmen als die Casinopartei und scheiterten schließlich an der vor einen Einzug ins Parlament gesetzten 1,5-Prozent-Hürde.

Die Aktivisten, die in diesen Tagen gegen den Abzug auf die Straße ziehen, sind selbst unter der Golanbevölkerung eine Minderheit. Ganze zehntausend Demonstranten fanden sich vor der Knesset zusammen, als die Parlamentarier diese Woche über die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen mit Syrien debattierten. Die große Mehrheit der Protestierenden war nicht den weiten Weg vom Golan gekommen, sondern stammte aus den jüdischen Siedlungen im Westjordanland.

Für die jungen Leute vom Golan gibt es nicht viel, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Die größte Attraktion in Katzrin, der einzigen Stadt auf den Golanhöhen, ist ein Einkaufszentrum, mit Boutiquen und einer Eisdiele. Damit ist das Freizeitangebot auch schon fast ausgeschöpft. Doch nicht nur der Mangel an Bars und Diskotheken treibt die jungen Leute vom Golan, sondern vor allem die hohe Arbeitslosigkeit. Fast die Hälfte der Bewohner Katzrins sind russische Immigranten. Viele von ihnen haben bereits das Rentenalter erreicht. „Die Arbeitslosenrate liegt bei 30 Prozent“, schimpft der Autoschlosser Nachmani Scharon, der die Stadtverwaltung für die Misere verantwortlich macht. Anstatt die öffentlichen Gelder in die marode Infrastruktur und in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu investieren, würden Gehälter für die Mitarbeiter des „Rates der Golansiedlungen“ bezahlt, der „nur sich selbst und sonst niemanden repräsentiert“.

Der „Rat der Golansiedlungen“ ist eine Art zentrales Hauptquartier der Kämpfer gegen den Abzug. Chefin ist Ramona Bar-Lev, Ehefrau des Bürgermeisters von Katzrin, Sami Bar-Lev. In ihren Büros werden mit öffentlichen Geldern Aufkleber gedruckt: „Ich bin mit dem Golan“ steht auf einem, auf einem anderen: „Wir bewegen uns nicht vom Golan“. Erklärtes Ziel der vermutlich letzten Großkampagne des „Rates der Golansiedler“ ist die landesweite öffentliche Meinungsbildung.

Premierminister Ehud Barak wird nach Abschluss erfolgreicher Verhandlungen vor das Volk gehen, bevor er Verträge unterzeichnet. Für die Golansiedler ist das Referendum die letzte Chance, ihr Heim zu retten. Sollten die Israelis mehrheitlich für den Abzug stimmen, dann würde man freiwillig die Koffer packen – das sagen selbst die beharrlichen Leute vom „Rat der Golansiedler“.

Vorläufig wird indes Optimismus demonstriert. Erst in dieser Woche weihte die Stadtverwaltung ein neues Wohnviertel in Katzrin ein. Bürgermeister Bar-Lev versprach, dass man die Entwicklung der Stadt fortsetzen werde. Was allerdings nicht viel bedeutet: Auch in Jamit, der jüdischen Stadt auf der Sinai-Halbinsel, wurde bis zum letzten Tag vor der Evakuierung 1982 gebaut. Die unnachgiebigen Golansiedler können dennoch Hoffnung schöpfen. Nach jüngsten Umfragen ist die Mehrheit der Israelis derzeit noch gegen einen Abzug oder zumindest unentschlossen. Oppositionsführer Ariel Scharon mag mit seinen Warnungen vor den Gefahren eines Abzugs zu diesem Stimmungsbild beigetragen haben.

Tatsächlich hatte, so steht es im so genannten Lauder-Dokument, das dieser Tage an die Öffentlichkeit kam, auch die Regierung Benjamin Netanjahus einen Abzug aus dem „1967 annektierten Land“ angeboten. Bei Netanjahu war Scharon Außenminister. Militärexperten sind sich zunehmend einig darüber, dass es auf „ein paar hundert Meter Land mehr oder weniger“ nicht ankommt. Wichtig sind indes die nachrichtendienstlichen Satellitenstationen und die Garantie der Wasserversorgung – beides ist Verhandlungsgegenstand.

Vieles wird letztendlich am Verlauf der Gespräche hängen – und an dem Preis, den die Syrer für die Golanhöhen zu bezahlen bereit sind. Dazu gehört an erster Stelle der Frieden an der Nordgrenze Israels. Präsident Hafis al-Assad könnte überzeugend seinen guten Willen unter Beweis stellen, wenn er schon jetzt den militärischen Aktionen im Südlibanon Einhalt gebieten würde. Günstig für die öffentliche Meinungsbildung wäre zweifellos auch ein freundlicher Besuch des syrischen Staatspräsidenten in Jerusalem.

Jael und ihre Mitstreiter müssen unterdessen weiter in Warteposition ausharren. „Ich würde am liebsten heute die Wiedergutmachung kassieren und gehen“, gibt Jael zu. „Aber ich kann doch das sinkende Schiff nicht verlassen.“

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