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Die Hand und der Fuß Gottes

DIE SPIELER DES JAHRHUNDERTS. FOLGE 5: DIE 80ER-JAHRE – Diego Armando Maradona vereinte geniale Spielkunst und Erfolg wie außer ihm nur Pelé ■ Von Oliver Thomas Domzalski

Viele Jahrhundert-Fußballer sind schon gekürt worden. Aber alle Juroren übersahen immer das Problem mit den Äpfeln und Birnen: Wer will ernsthaft Willi Schulz mit Paolo Maldini vergleichen, welcher Maßstab soll für George Best und Ruud Gullit gelten oder für Dixie Dörner und Franz Beckenbauer? taz-AutorInnen bewerten Spieler in ihrem Umfeld und in ihrer Zeit. Streng objektiv, versteht sich, mit subjektiver Auswahl. Unsere Serie wird alle 10 Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts abdecken.

Uefa-Cup 1988/89, Halbfinalrückspiel des FC Bayern gegen den SSC Neapel. Die Gäste verteidigen in typisch italienischer, sprich: mauernder Manier den 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel – bis die Bayern in Führung gehen und auf das zweite Tor zu drängen beginnen. Man kann sogar am Fernseher spüren, wie ein kleiner, etwas pummeliger Spieler in einem bestimmten Moment beschließt: „Das wird jetzt zu riskant. Wir müssen ein Tor machen.“ Zwei Minuten später steht es 1:1 – vorbereitet vom rundlichen Herrn mit der Nummer 10.

Diego Armando Maradona ist der Spieler der 80er-Jahre, weil er zwei Eigenschaften in sich vereinigte, von denen jede allein schon einen Weltstar macht: Er war ein göttlich begabter Einzelkönner, der ein Spiel fast jederzeit und beinahe nach Belieben alleine entscheiden konnte – und er war gleichzeitig Mannschaftsspieler genug, um seine Teams über die Strecke einer Weltmeisterschaft oder einer Meisterschaftssaison zum Erfolg zu führen.

Auf dem Höhepunkt seines Könnens, bei der WM 1986 in Mexiko, zeigte er beides exemplarisch: Im Viertelfinale schaltete er England fast im Alleingang aus – mit dem unfairen Faustschlag durch „die Hand Gottes“ einerseits und mit dem legendären Solo anderseits: Der Ball lief von der Mittellinie in einer nahezu geraden Linie auf das englische Tor zu, und Maradona sorgte praktisch nur durch Körpertäuschungen dafür, dass eine ganze Riege wackerer Gegenspieler dem Ball nach rechts und links aus dem Weg gingen, indem sie entweder stolperten, wegknickten und hinfielen. Im Finale gegen die Bundesrepublik hingegen wurde Maradona stets von drei bis vier Teutonen an solcherlei Soloauftritten gehindert – da spielte er eben sechs Minuten vor dem Ende, obwohl buchstäblich eingekreist von Gegenspielern, den genialen Steilpass auf Burruchaga, mit dem dieser auf und davon eilte und den WM-Titel sicherte. Zum Abschluss der 80er-Jahre und seines Leistungszenits, im Viertelfinale der WM 1990 gegen Brasilien, wiederholte Maradona dieses Kunststück übrigens mit dem torentscheidenden Pass auf Caniggia.

Was Maradonas Leistung als Mannschaftsspieler, was die Erfolge der von ihm geführten Teams noch strahlender dastehen lässt: Er führte nicht etwa renommierte, zahlungskräftige Clubs wie Juventus Turin oder Real Madrid zu (ohnehin programmierten) Erfolgen, sondern wunderbarerweise den SSC Neapel. Die Kalabresen stiegen mit Maradona kometengleich auf, holten Meisterschaft und Pokal 1987, den Uefa-Cup 1989 und die Meisterschaft 1990. Vor und nach seiner Zeit am Vesuv dagegen dümpel(te)n die Neapolitaner in der Zweitklassigkeit dahin. Und den WM-Titel 1986 sowie die Finalteilnahme 1990 schaffte Argentinien unter Trainer Carlos Bilardo – als Spieler ein global verrufener Klopper, dessen bertineskes Spielverständnis den Anlagen und Neigungen Maradonas sicher nicht entgegenkam. Aber nach der WM 1986 hieß es ohnehin, dass jede Mannschaft mit Maradona Weltmeister geworden wäre.

Maradona war eine Figur der 80er-Jahre – eine Karriere über zwei Jahrzehnte in geordneten Bahnen, geschützt vor zu schnellem Reichtum und vor den Zudringlichkeiten der Medien, mit anschließendem bürgerlichen Aufstieg, wie sie etwa Beckenbauer und Pelé gelang, war undenkbar für einen Fußballer, der mit Anfang 20 unter den Augen der Weltöffentlichkeit einen Transferrekord nach dem anderen aufstellte (1982 für 18,2 Millonen Mark nach Barcelona, 1984 für 24 Millionen nach Neapel).

Bei der WM 1982 blickte alles gespannt auf den sagenumwobenen Star der Boca Juniors – und die gegnerischen Verteidiger ließen ihn spüren, dass sie ebenfalls von seinen Tricks gehört hatten. So wird seine Karriere in Europa eingerahmt vom Platzverweis gegen Brasilien 1982 und dem hemmungslosen Weinen nach dem verlorenen Finale von 1990. Was danach kam – die Flucht aus Neapel wegen Koks- und Steuersünden, der Doping-Auftritt bei der WM 1994, die Luftgewehrschüsse auf Journalisten, die Comeback-Versuche als Übergewichtiger – zeigte nur, dass Maradona im Gegensatz zu den Minuten-Stars der 90er zwar noch über zehn Jahre lang Weltspitze spielen konnte, das Leben danach aber nicht mehr in den Griff bekam.

Aber was für Helmut Kohl gilt, gilt für Maradona schon lange: Das schmälert seine historische Leistung nicht.

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