: Langer Marsch durch Supermärkte
■ Naturfarben haben es schwer, sich auf dem Markt durchzusetzen / „Einfach nur Öko, damit kommt man nicht mehr durch“ / Europas Öko-Farbe Nummer eins kommt aus dem friesischen Jever
Die Wohnung ist frisch gestrichen. Die selbst gebastelten Holzregale schimmern elegant mit neuer Lasur. Der versiegelte Holzfußboden spiegelt Gemütlichkeit. Aber die Nase trieft, die Augen jucken und im Kopf klopft ein stechender Schmerz. Irgendwie waren Wandfarben und Holzlasuren aus dem Supermarkt wohl doch zu billig. Ein Blick auf das Kleingedruckte entlarvt Übles. In den Farben stecken giftige Zusätze (Additive) wie Glycol, Terpene, verschiedene künstliche Lösungsmittel, Glycoläther, alles Gifte, die einem den Schädel brummen lassen.
Es gibt Hilfe, man muss sie nur finden. „Öko allein reicht heute nicht mehr. Man muss den Markt erobern können“, meint Jochen Behrend, Marketingleiter beim Naturfarben-Hersteller Bio Pinn im friesländischen Jever. Deswegen versucht die Firma mit Macht, ihr Angebot an lösungsmittelfreien Farben und Lacken für Decken, Wände und Holz seit neuestem in den großen Baumärkten zu platzieren. „Wir sind zwar die Nr. 1 oder 2 in Europa, was die Herstellung von Naturfarben angeht, aber glauben Sie ja nicht, dass wir Öko-Firmen den Farbenmarkt aufmischen könnten“, dämpft Geschäftsführer Ralf Holtgrefe die Hoffnung auf eine giftfreie Farben-Welt. „Ich gehe davon aus, dass alle Öko-Farbenhersteller gerade mal ein Prozent des gesamten deutschen Farbmarktes beliefern.“
Das hat nicht unbedingt etwas mit dem Preis der Bio- Farben zu tun. „Ich glaube, dass viele Menschen ihre engste Umwelt gesund und naturnah gestalten möchten, aber deswegen kaufen sie noch lange keine ökologischen Produkte“, erklärt Ralf Holtgrefe. Bequemlichkeit, Gewohnheit und die dominierende Präsens der Produkte der „Konzerne“ halten Otto-Lieschen NormalverbraucherIn von einer „gesunden“ Lebensweise ab, das ist seine Meinung.
„Was nutzt uns ein gutes Produkt, wenn es keiner kauft“, gibt der Geschäftsführer die Marschrichtung vor. Dabei haben die Leute aus Jever gerade alle Orden der Zeitschrift Öko-Test verliehen bekommen: „Empfehlenswert“ auf alle Anstriche; im Bereich Holzöle und Bienenwachs-Lacke die meisten Öko-Sternchen. Was noch wichtiger ist, im Vergleich mit anderen Naturfarben Herstellern ist Bio Pinn äußerst preiswert. „Öko darf nicht teurer sein als andere Produkte“, fordert denn auch Holtgrefe. Er will sich nicht mal einen Marktvorteil durch Steuererhöhungen für Schadstoffschleudern einhandeln.
„Es gibt viele Wege Firmen zu zwingen, ökologisch zu arbeiten“, meint Holtgrefe, „in Holland verbieten sie ab 2005 sämtliche Restlösungsmittel in Farben. In der Schweiz werden im neuen Jahr Steuern für Lösungsmittel erhoben. Letztlich muss aber der Markt das Problem lösen und natürlich die KonsumentInnen.“ Ungehalten wird der Mann aber schon, wenn Branchen-Konkurrenten schummeln. „Da gibt es ein Produkt, da steht „Bernstein-Farbe“ drauf. Drin ist aber was anderes“, ärgert er sich. Tatsächlich sind Inhaltsangaben auf Farben freiwillig. Nur Beimischungen, die unter die Gefahrenstoffverordnung fallen, müssen gekennzeichnet werden. Ansonsten wird der Firmen-Poesie freien Lauf gelassen.
„Durch unsere 17-jährige Erfahrung und unsere Kreativität haben wir einen Marktvorteil“, erklärt Geschäftsführer Holtgrefe und präsentiert stolz das kleine Forschungslabor im neu gebauten Firmensitz in Jever. Hier werden nach alten Rezepturen Farben aus Leinöl, Holzöl des lateinamerikanischen Tungabaumes und Wasser die Grundsubstanzen der Farben zusammengemischt, die Öle und Harze verkocht. Dazu kommen pflanzliche Farbpikmente. Ein Geheimnis bleibt, der Stabilisator. „Das verraten wir nicht“, blockt Holtgrefe ab. Dieser Stabilisator ersetzt die giftigen Lösungsmittel. Ohne diesen Zusatz würden Öle, Harze und Wasser sich nicht dauerhaft vermischen.
„Wir müssen mit unseren Produkten den Bedürfnissen der Kunden entgegenkommen“, so Holtgrefe. „Die wollen einen günstigen Preis und eine einfache Verarbeitungsweise. Einfach nur Öko, damit kommt man nicht mehr durch.“ Je größer allerdings der Marktanteil von Naturfarben wird, desto genauer schauen auch große Chemiekonzerne in die Öko-Nische. Die haben ihre Daumen zum Beispiel auf den Rohstoffen. „Ohne Leinöl und ohne Holzöl können wir sofort hier die Schlüssel umdrehen“, meint Ralf Holtgrefe. Deswegen versucht Bio Pinn zunehmend, direkte Kooperationen mit Rohstoffproduzenten einzugehen. Im letzten Jahr hat das zu einer vom Land Niedersachsen geförderten Zusammenarbeit mit Bauern geführt, die Leinsaat für Bio Pinn ausgebracht haben. „Aber wenn wir den Großkonzernen nicht mehr passen, können sie uns jederzeit aus den großen Läden rauskaufen“, versucht Holtgrefe seine Vision von der Zukunft der Naturfarben von der Illusion einer schönen neuen Öko-Welt zu trennen. Thomas Schumacher
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