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10 Jahre Postkommunismus (3): Rumäniens politische Elite hat die Jahre seit dem Sturz Ceausescus größtenteils vergeudetKonstanten der „Goldenen Epoche“

Alle Kennzeichen der Diktatur sind Konstanten der rumänischen Geschichte

Der Sturz des Diktators Ceaușescu trägt viele Namen. Das, was im Dezember 1989 in Rumänien geschah, nennen die einen „Aufstand“, die anderen „Revolution“ und wiederum andere „Putsch“ oder „Komplott“. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss befasste sich vor einigen Jahren schlicht mit den „Ereignissen des Dezember 1989“. Dabei ist der Streit um die Bezeichnung keine Haarspalterei – immerhin geht es um den einzigen blutigen Umsturz einer kommunistischen Diktatur in Osteuropa, bei dem mehr als tausend Menschen ums Leben kamen. Und: Die Mörder sind heute größtenteils noch auf freiem Fuß, wurden befördert oder genießen ansehnliche Renten. Ceaușescus obskure Ideologen und Hofpoeten haben ihre Karrieren als Politiker, Akademiker oder Medienstars fortgesetzt. Ein Aktenöffnungsgesetz, das kürzlich verabschiedet wurde, dient im Wesentlichen dazu, die Securitate-Vergangenheit zu vertuschen.

Der Umstand, dass die rumänische Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit nicht gebrochen hat, drückt auf seine Weise den Zustand des Landes aus. Zehn Jahre nach dem Sturz Ceaușescus ist es Rumänien nur in Ansätzen gelungen, jene Normalität zu schaffen, die seine politische Elite (wenigstens deklarativ) anstrebt: Marktwirtschaft, Rechtsstaat und eine Anpassung an das (west-)europäische Wertesystem mit dem Ziel der europäischen Integration.

In Rumänien herrscht eine chaotische, zerrüttete Übergangswirtschaft. In ihr dominieren pseudokapitalistische, staatsmonopolistische und oligarchisch-mafiotische Strukturen. Allein vierzig Prozent der Beschäftigten arbeiten in einer unproduktiven, oft auf Subsistenzniveau funktionierenden Landwirtschaft. Ein erheblicher Teil der urbanen Bevölkerung – zumeist Menschen, die in den letzten Jahrzehnten vom Land in die Städte umgesiedelt wurden – fristet ein perspektivloses Dasein, weil Ceaușescus megalomanische Industrie zusammengebrochen ist.

Ein Rechtsstaat besteht nur in Ansätzen. Sein Funktionieren wird überall in starkem Maße durch informelle Praktiken und Strukturen untergraben. Parteien existieren nur nominell und versammeln in Wirklichkeit Oligarchien, die den Einfluss in einzelnen Wirtschaftszweigen unter sich aufteilen. Sozialökonomisch ist Rumänien in mancherlei Hinsicht in der Ceaușescu-Zeit stecken geblieben. Die öffentliche Infrastruktur ist weitgehend verkommen. Zwar gibt es Grundnahrungsmittel und andere Versorgungsgüter in ausreichendem Maße, doch eine relative Mehrheit lebt unter der Armutsgrenze. In Rumänien wüten regelmäßig Epidemien, im Winter gibt es nicht genügend Heizwärme und Warmwasser. Während der Bergarbeiterrevolte zu Jahresbeginn, der ersten ernsthaften sozialen Revolte seit 1989, die auf große Sympathien in der Bevölkerung stieß, stand Rumänien nur knapp vor der Einführung des Ausnahmezustandes. Andere soziale Revolten könnten jederzeit ausbrechen.

Selbst die unzweifelhaften Gewinne, die der Sturz Ceaușescus Rumänien brachte, sind einer gewissen Entwertung anheim gefallen: Die Pressefreiheit nutzen führende Medien dazu, nationalistische Hysterie zu verbreiten. Politiker missbrauchen die Meinungsfreiheit ungestraft, um die Einführung einer Diktatur, die Ghettoisierung von Roma oder andere antidemokratische und totalitäre Vorhaben zu propagieren. Ein düsteres Bild. Tatsächlich wirkt Rumänien wie eine Abraumhalde des Ceaușescuschen Größenwahns. Im Reich des „conducators“, des „(An-)Führers“, mussten die Menschen Unterdrückung und existenziellen Mangel unter der höhnischen Bezeichnung „Goldene Epoche“ ertragen und waren zugleich Statisten eines grotesken Personenkultes um den „Titan der Titanen“. Der Diktator hatte Niedrigsttemperaturen in Wohnungen, Lebensmittelknappheit als „rationelle Ernährung“, Gebärzwang, den Abriss von Dörfern und Altstädten im Rahmen einer landesweiten „Systematisierung“ verordnet, während alle mobilisierbaren Ressourcen in absurde Vorhaben flossen.

Freilich war Ceaușescu kein historischer Unfall. Alle Kennzeichen seiner Diktatur – Nationalismus und Rumänozentrismus, ökonomischer Autarkiewahn, Streben nach Modernisierung um jeden Preis, Megalomanie und dynastisch-totalitäre Herrschaft – sind mehr oder weniger Konstanten der rumänischen Geschichte. Über eine starke bürgerlich-demokratische Tradition verfügt das Land nicht. Stattdessen gab es in den letzten 150 Jahren immer wieder (gescheiterte) Versuche, Rumänien aus seiner chronischen ökonomischen Unterentwicklung herauszureißen und das Land gewaltsam-autoritär zu modernisieren. Ceaușescus Leistung ist die radikale Konsequenz, mit der er jegliche Realität und Vernunft ignorierte und mit der er die Gesellschaft von innen aushöhlte.

Nach dem Einschnitt von 1989 stand Rumänien an einem historischen Wendepunkt – freilich mit minimalen Erfolgschancen, innerhalb relativ kurzer Zeit einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen. Es verwundert nicht, dass die Kommunisten in Rumänien zunächst mit Staatspräsident Ion Iliescu an der Spitze weiter herrschten – der einzige derartige Fall unter allen ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten. Die demokratische Opposition, die Iliescus Regime bei den Wahlen vom November 1996 ablöste, ist heute gescheitert, zermürbt durch innere Konflikte und kompromittiert durch Inkompetenz, Korruption und Nepotismus. Die vielleicht wichtigste Reform, nämlich die des ultrazentralistischen Staats- und Verwaltungsmodells, das der Tradition des 19. Jahrhunderts entspringt, ist in Ansätzen stecken geblieben. Von einer Aufnahme in die Europäische Union ist Rumänien so weit entfernt wie kaum ein anderes Kandidatenland, während die Auswirkungen der bisherigen EU-Integration schon jetzt katastrophal sind: Durch den Freihandel ist die rumänische Wirtschaft einer Konkurrenz ausgesetzt, der sie nicht standhalten kann.

Selbst die unzweifelhaften Gewinne aus dem Sturz Ceausescus sind heute entwertet

Rückblickend lässt sich sagen, dass Rumäniens politische Elite die zehn Jahre seit dem Sturz Ceaușescus im Hinblick auf ihre selbst gesteckten Ziele größtenteils vergeudet hat. Das Land befindet sich in einer Grauzone nicht zu Ende geführter Modernisierungsvorhaben und den antimodernistischen Reflexen darauf. Ob Rumänien aus diesem Teufelskreis ausbrechen kann, hängt weniger von politischer und wirtschaftlicher Hilfe des Westens ab, sondern vor allem davon, ob die politische Elite des Landes in Zukunft mehr Verantwortlichkeit und politischen Willen darauf verwendet, ihre Ziele umzusetzen. Fest steht immerhin eines: Der Preis, aus dem Teufelskreis auszubrechen, wird immer höher.

Keno Verseck

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