: Verwechslung von Ursache und Wirkung
„ ‚Linke‘ sollten sich an die eigene Nase fassen“, „Wer braucht eine Basis, die mitreden will?“, Leserbriefe,
taz vom 9., 11./12. 12. 99
Die Verwechslung von Ursache und Wirkung ist immer fatal und im Falle von 90/Die Grünen (das Bündnis kann mangels Masse bereits entfallen) führt sie dazu, dass die größte parlamentarische Hoffnung im demokratischen Deutschland nicht vom politischen Gegner, sondern von sich selbst marginalisiert wird.
Nicht die verlorenen Landtagswahlen haben die Grünen daran gehindert, ihre programmatischen Ziele in der Koalition durchzusetzen, sondern diese Wahlen wurden verloren, weil dies nicht geschieht, weil Anspruch und Wirklichkeit sehr schnell viel weiter auseinander klafften, als dies die/der WählerIn hinzunehmen bereit sind. Das Potenzial früherer Wahlerfolge besteht nun mal nicht aus Menschen, bei denen die persönliche Rendite oder die Staatsräson im Vordergrund ihres Abstimmungsverhaltens stehen, sondern aus Menschen, die in berechtigter Sorge um die Grundwerte saubere Umwelt, Frieden, soziale Gerechtigkeit und Demokratie handeln.
Die grüne Bundestagsfraktion hat dem Krieg gegen Jugoslawien nicht zugestimmt, weil ich und andere ausgetreten waren, sondern wir sind deswegen ausgetreten. Spätere Austritte waren die Folge der Abschaffung von Trennung von Amt und Mandat und nicht umgekehrt. Die erreichte Regierungsbeteiligung ist nicht der Beginn einer gloriosen grünen Parteigeschichte, sondern deren beschämendes Ende.
Die „Strukturreform“ der hessischen LMV, die ich als Strukturrevanchismus bezeichne, deklariert die Partei-Elite in zweiter Funktion als neue „Partei-Basis“ und macht damit die ungeliebte Basis von einst überflüssig. Damit wird vorläufig deren Zerbröckeln ignoriert und kaschiert und Schrödersche Geschlossenheit kann medienwirksam präsentiert werden. Eine Zukunft jenseits der Legislaturperiode gibt es allerdings dafür nicht.
Die ehemaligen WeggefährtInnen können von den Anteilseignern der Öko-FDP (in Abwicklung) endlich wieder als die „Linken“ bezeichnet werden, also als das Zerrbild, unter das der deutsche Parlamentarismus parteiübergreifend gerne den inneren Feind subsummiert: Baader-Meinhof, Jutta Ditfurth, Oskar Lafontaine. Und die Restbasis, die, um ihre politische Heimat gebracht, im immer größer werdenden NichtwählerInnen-Sumpf untergeht, das waren sowieso nur Socken strickende, stillende MüsliesserInnen mit Wandergitarre, was haben wir gelacht ... Oswald Neubauer, Ludwigsburg
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