: 180 Schläge pro Minute für ein Vater Unser
Szene mit einem Musikproduzenten, De Niros Stimme, Nietzsche und dem Lieben Gott
Von Zeit zu Zeit lässt der Liebe Gott seinen Erzengel Gabriel berichten, wie es um die Gottesfurcht der Menschen bestellt sei. Einmal spielte Gabriel dem Lieben Gott das Werk eines Plattenlabels namens Polydor Zeitgeist vor: das Vaterunser in einer Techno-Version. Dieses Werk missfiel dem Lieben Gott sehr, und er beschloss, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Weil aber der Liebe Gott Geist wie Gerechtigkeit schätzt, bestellte er den Philosophen Nietzsche als Advokaten der Verhunzer seines Wortes.
DER LIEBE GOTT: Meine Herren, Sie wissen, warum Sie hier sind?
NIETZSCHE (mault): Sie finden sich wohl nie ab mit Ihrem Tod!
DER LIEBE GOTT: Wollen wir doch mal sehen, wer hier tot ist, Herr Nietzsche! Legen Sie los, Gabriel.
(Man hört ein leichtes Klicken, dann E Nomines Technoversion des Vaterunser, gesprochen von der deutschen Stimme Robert De Niros. Nach einigen Takten wird die Musik leiser.)
Stellen Sie sich so eine angemessene Verbreitung meines Wortes vor, meine Herren?
NIETZSCHE: Die Form der Verbreitung des Wortes Gottes ist zweitrangig angesichts der Tatsache, dass sowohl das Wort als auch sein angeblicher Urheber allein dem menschlichen Willen zur Macht entsprungen sind. Vom Standpunkt der Ästhetik ist das Werk allerdings zu verabscheuen.
DER LIEBE GOTT: Darüber, wer hier wem oder was entsprungen ist, reden wir später. Im zweiten Punkt aber haben Sie recht, Nietzsche.
NIETZSCHE: Gottes Wort in meinem Ohr!
DER LIEBE GOTT: Vorsicht Nietzsche! Die Gotteslästerer mögen sich äußern!
PRODUZENT (flehend): Wir wollten doch nur mit dem Konzept Keep the Zeitgeist alive jungen Menschen I h r Wort nahe bringen. „In den Clubs hat der ‚Vater Unser‘-Track bereits Kultstatus und auch die Dancecharts hat er bereits im Sturm erobert ...“
NIETZSCHE (dazwischen): Ach, du lieber Gott...
PRODUZENT: ... in einer Form, die junge Menschen anspricht! „Sofort nach dem Einlegen der CD stellt sich Gänsehaut ein, das liegt nicht alleine am sakralen Thema. Der hypnotischen Sprecherstimme kann man sich kaum entziehen, bis man feststellt, man kennt sie irgendwoher: Es ist die Original-Synchronstimme von Robert De Niro.“
STIMME ROBERT DE NIROS: Gott, o Gott, gleich wird mir übel von dem Gesülze. Ich sag Ihnen die Wahrheit, großer Manitu oder wie Sie auch immer heißen. Der Polydor-Produzent hat das Geld, ich hab die Stimme. Er gibt mir die Asche, ich sprech ihm den De Niro, das Vater Unser oder einen Porno. Das ist mein gottverdammter Job.
DER LIEBE GOTT: Na, na, na! Nietzsche, Sie haben das Wort.
NIETZSCHE: Ach, du lieber Gott, was soll ich dazu sagen? Es gibt Momente, da wünsche selbst ich mir, es möge einen Gott geben, der mal so richtig dazwischenfunkt!
DER LIEBE GOTT: „Danke, meine Herrn, das genügt. Gabriel, übergebe die Herren an den Kollegen Luzifer, damit er mein Urteil vollstrecke: Der Herr mit der Stimme Robert De Niros erhalte in der Vorhölle bei James-Last-Partymusik die Gelegenheit, sich Gedanken über die Grenzen des guten Geschmacks zu machen, doch möge Luzifer jederzeit Freigang für Synchronisationsaufträge gewähren, denn seine Stimme möchte ich auch künftig nicht missen.
Die Heuchler aber, die als Musikproduzenten das edelste Gebet, das ich der Menschheit geschenkt habe, dem schnöden Mammon zuliebe den Götzen einer tumben, künstlichen Glitzerwelt geopfert und meine jungen Erdenschäfchen in ihrer ästhetischen Urteilskraft verdorben haben, mögen ihre Schandtat für immerdar in der Pophölle büßen, und zwar dergestalt, dass sie bis zum jüngsten Gericht auf 50 Zentimeter hohen Elefantenfüßen, die sie selbst Plateausohlen nennen, zu ihrem eigenen entsetzlichen Lärm, den sie selbst Musik nennen, unter konvulsivischen Zuckungen zittern und zappeln, was sie selbst Tanzen nennen. Dies geschehe mit 180 Schlägen pro Minute, die sie selbst beats per minute nennen. Die Lautstärke betrage 100 Phon im rechten Ohr, im linken Ohr aber möge sie gleichzeitig Volksmusik aus der entsetzlichen Fernsehshow „Musikantenstadl“ heimsuchen, während das Konterfei des Schlagersängers Jürgen Drews sie von riesigen Monitoren angrient. Anschließend bringe mir den Himbeergeist, Gabriel. Der Nietzsche bleibt noch hier – ich werde mit ihm noch ein paar Takte über meine Existenz plaudern!
NIETZSCHE: Gott sei Dank!
DER LIEBE GOTT: Nich dafür! (jovial) Also, mein Guter. Erklären Sie mir doch mal die Stelle im Zarathustra, wo ...
(Vorhang bei angeregtem Geplauden zwischen dem Lieben Gott und Nietzsche)
Joachim Frisch
„Vater Unser“. Polydor Zeitgeist, Künstler: E Nomine (Best.-Nr: 561 425-2)
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