„Diese Torsi könnte ich küssen“

■ Sie bezeichnet sich selbst als ewige Nomadin mit festem Wohnsitz in Deutschland und auf Tobago. Dort fasziniert sie vor allem die Schönheit der Menschen. Ein Portrait der Bildhauerin Luise Kimme

Ihr Märchenhaus liegt auf dem Hügel in Bethel mit Blick auf das Karibische Meer. Strahlend weiß mit Kuppeln, Türmchen, arabischen Bögen, etwas gotische Kathedrale, etwas Renaissancepalast und ein bisschen Kolonialbau mit offenen Räumen. Die Fassade ist verziert mit den Figuren von Pan und Amor und eines Fauns. Das Dach schwingt sich in Form einer Meereswelle darüber. Ein kapriziöses architektonisches Gebilde. Hier lebt und arbeitet die Bildhauerin Luise Kimme, 1939 in Bremen geboren, wenn sie gerade auf Tobago weilt. Hier produziert die 1, 52 Meter große Frau ihre über 2 Meter hohen Holzfiguren. Im offenen Innenhof, gleichzeitig das Atelier der Künstlerin, tummelt sich eine Meute von neun Hunden. Sie bewachen das Haus, auch wenn Luise Kimme nicht da ist und Gäste aus Deutschland oder der Gärtner nach dem Rechten schauen. „Überfälle kommen in dieser besseren Gegend häufig vor“, erzählt Luise Kimme.

Ihr Haus ist Wohnung, Atelier und Museum. Sonntags von 10 bis 14 Uhr sind ihre Plastiken der Öffentlichkeit zugänglich. Meistens kommen Touristen und bewundern die karibischen Körper aus deutscher Eiche, aber auch ältere einheimische Paare schauen nach der Sonntagskirche vorbei. „Sie stehen da und lachen“, erzählt Luise Kimme, „sie erkennen sich wieder. Das freut mich.“ Mit Vorliebe gestaltet die Bildhauerin Tänzer und Tänzerinnen, aber auch Tiere der Umgebung, Fabelwesen karibischer Mythen wie „Mama de l’eau oder die Boa. Das Holz für ihre Arbeit verschifft Luise Kimme aus Deutschland. Eine teure und aufwendige Angelegenheit. In Zukunft will sie deshalb mit dem heimischen Zedernholz arbeiten.

Wenn sie nicht auf Tobago ist, lebt Luise Kimme meistens in Düsseldorf und unterrichtet als Professorin an der Kunstakademie. Studiert hat sie in Berlin, London und Providence (USA). Die Lust an anderen Kulturen entdeckte sie mit ersten Holzarbeiten auf Jamaika, bei den Navajos in Kalifornien und bei Besuchen im New York der siebziger Jahre. „Schon damals lebte ich viel unter Schwarzen“, sagt sie.

Nächstes Jahr geht die Professorin auf Rente. Dann wird sie ganz nach Tobago übersiedeln. „Das sieht von außen immer alles so einfach aus, ist aber auch mit viel Einsamkeit verbunden. Diese Einsamkeit muss man aushalten. Sie ist aber produktiv für meine Arbeit.“ Luise Kimme braucht den Wechsel der Orte. Sie fühlt sich als Wanderin zwischen den Kulturen, als ewige Nomadin.

1979 kam sie nach Tobago. Zuvor reiste sie in Peru, Mexiko, Surinam, Honduras, Haiti, Jamaika, Guyana. Ihr Faible für diesen Erdteil ist offenkundig. In Tobago blieb sie ein „bisschen“ der Liebe wegen, aber auch weil die Weißen hier leichter akzeptiert wurden. Auf Haiti – für sie das Traumland der Kreativität – hat man es als Weißer nicht leicht. „Auf Tobago gab es nicht dieses ökonomische Gefälle, die sozialen Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß.“

Früher waren es die Kultur, die Kirchen, die Baptisten, die Religion, die sie faszinierten, heute ist sie von der Schönheit der Menschen auf Tobago fasziniert. „Der Gegenstand meiner Skulpturen“, sagt sie, „sind die schönen Körper.“ Und diese studiert sie am liebsten in der sonntäglichen Open-Air-Diso in Buccoo live. Dann zwängt sich auch die Bildhauerin in ein hautenges Kleid, zieht High Heels an und tanzt bis zum Morgengrauen. Dabei beobachtet sie Posen, Mimik, Gesten, Haltung. Sie will keine Kunst für Galerien machen, sondern Kunst, „die ich und auch die Leute verstehen kann“. Zu „den Negerkulturen“ fühlt sich Luise Kimme schon lange hingezogen. „Es dauert ja jahrelang bis man beispielsweise Reggae kann. Wenn man das einmal drin hat, dann geht das nicht wieder raus. Dies ist eine Seite von mir, die man nicht mehr ausradieren kann.“

Ist sie ein weiblicher Gauguin, dem Exotismus schwarzer Körper erlegen? „Jeder Künstler hat ein Gesicht, das er als Chiffre für Gesicht einsetzt. Bei mir sind das nun mal die Schwarzen. Das ist die einfache Gesichtsform“. Eigentlich interessieren sie die Griechen und die Renaissance. Bei Besuchen in Berlin, London oder Rom studiert die Künstlerin in Museen die klassischen Skulpturen. In ihrere Ausbildung habe sie zwar den Umgang mit Holz und Stein gelernt, aber nur wenig über Anatomie. Deshalb erzählt sie ganz begeistert, dass sie bei ihrem letzten Besuch in Berlin endlich das Prinzip der gemeißelten Achselhöhle begriffen habe. Die Torsi klassischer Jüngliche sprechen sie „natürlich vielmehr an als der Körper einer Aphrodite oder Venus. Diese Torsi könnte ich küssen, so schön sind die.“ Schön findet Luise Kimme auch die Männer auf Tobago: „Man kann sie angucken, und sie sind ja auch willig und lassen das geschehen. Auch meine weiblichen Figuren sind sehr androgyn. Ich habe nur männliche Modelle.“ Dabei will sie von den Männer inzwischen weiter nichts wissen: Erst kommt und kam meine Arbeit und dann lange nichts.“

Vom Karneval in Trinidad ist sie stark beeinflusst, vor allem von dem trinidadische Künstler Peter Minshall. Er reagierte spontan auf ihre Figuren. „Er hat sofort gekauft“, erzählt sie. „Mit diesem Geld habe ich mein Land in Tobago gekauft“. Sie arbeitet für Peter Minshall, portraitierte für ihn bekannte Calypsosänger wie Sparrow und David Rubber aus Holz und fertigte die Köpfe seiner berühmtesten Figuren .

Auf Trinidad und Tobago bekommt Luise Kimme viel Anerkennung. Ihre Skulpturen stehen im Nationalmuseum, sie entwarf die Bühnenbilder für die Miss-Universe-Wahl im Mai 99. Nächstes Jahr plant sie eine große Ausstellung im Trinidad Country Club. Reiche „Trinidadians“ schmücken ihre Häuser gerne mit ihren Plastiken. Doch Kimme verkauft auch nach England und in die USA. „Vor allem die kleineren Plastiken verkaufen sich gut“, meint sie, „auch in Deutschland.“

Dort hat sie allerdings Probleme mit der künstlerischen Inspiration. Tobago, das hat für sie Soul. Und Deutschland? „In der Eifel, wo ich mein anderes Atelier habe, gibt es nichts, was mich aus der Umgebung anregt. Ich kann doch keine Gartenzwerge machen oder Rehe? Oder einen Förster? Das würde nämlich in die Umgebung passen.“

Edith Kresta