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Die üblichen Produzentenpartys

Ironie und Ikonen: Steven Soderberghs „The Limey“ pflegt stilistische Coolness

Ein Vater kommt nach Los Angeles, um dem Tod seiner Tochter nachzuspüren. Angeblich ist sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen, aber der Vater will das nicht glauben. Und weil sein Schmerz über den Verlust in blanken Hass mündet, nietet er in einem Lagerhaus in Boyle Heights, wo seine Recherche beginnt, ohne weitere Notwendigkeit gleich einmal alle Anwesenden um.

Der Auftakt zu Steven Soderberghs „The Limey“ überzeugt nicht sonderlich. Schließlich sät er erhebliche Zweifel an der Intelligenz des Mannes, den wir zuvor im Flugzeug sahen, seine Mission memorierend, mit einem Akzent, der ihn als Briten verrät. Wer würde schon, kaum aus London eingeflogen, dem L.A. Police Department gleich Berge von Leichen zu Füßen legen, wenn er noch eine ganze Wegstrecke vor sich hat?

Man muss durch diesen Auftakt durch, um zum Kern von „The Limey“ durchzustoßen. Die Gewaltchoreografie ist nicht wirklich Soderberghs Ding. Ihn interessieren die Zeit- und Raumachsen, in denen die filmischen Bilder entstehen, die Locations, die Atmosphäre, eine gewisse, dem Film noir abgeschaute Coolness des Stils, und ihn interessiert die Geschichte des Kinos mit seinen Schauspieler-Ikonen.

Casting als Kunst, das hat Quentin Tarantino dem neueren Kino vorgemacht. „Filmrestaurierungen“ ganzer Karrieren sind ihm dabei gelungen. Auch Soderbergh peilt diesen Coup an. „Besetzung nach Maß“ nennt das Presseheft die Wiederkehr zweier großer Stars des 60er-Jahre-Kinos: Terence („Billy Budd“) Stamp und Peter („Easy Rider“) Fonda. Beide stecken tief in den Klamotten von damals; ganz besonders Terence Stamp. Denn sein Dave Wilson, der gerade aus dem Knast entlassene, mittelprächtige Gangster, hat eine filmische Vergangenheit. Terence Stamp war schon einmal Dave, in Ken Loachs Erstlingsfilm „Poor Cow“ (1967). Ein Kleinkrimeller, mit dem Julie Christie ein Kind hat. Immer wieder schneidet Soderbergh Familienszenen aus Loachs Film in „The Limey“ ein.

Es ist ein Hauch von Experiment in diesen Rückblenden, das nochmals angestoßene Spiel mit der Zeit, das der Regisseur mit seinen Jump Cuts, seinen zum Bild verschobenen Dialogen, wo Leute sprechen, die den Mund noch gar nicht aufgemacht haben, sowieso schon spielt. Es ist ein Anflug schöner Nostalgie in ihnen – vor allem für den vor dreißig Jahren außerordentlich attraktiven Terence Stamp. Die Rückblenden sind auch ein kurzer Kommentar zur Subjektwerdung in der Medienkultur, wie das weiter getriebene Spiel mit der Erinnerung, auf das „The Limey“ setzt. Aber nur weil all diese Momente in Soderberghs Montage parallel laufen und man nicht recht weiß, welches Motiv einen nun mehr irritiert oder interessiert, funktionieren sie so gut. Wie bei „Out of Sight“ findet Soderbergh auch bei „The Limey“ das richtige Maß an Trickserei.

Peter Fonda spielt den legendären Plattenproduzenten Terry Valentine, dem es längst nicht mehr so gut geht, wie es den Anschein hat. Daher ist auch er insgeheim zum mittleren Gangster geworden, der für Drogenbosse Geld wäscht. Ironische Volte: Auch Wilson verdiente mal sein Geld im Rock-Geschäft. Während Valentine die Eintrittskarten für ein Pink-Floyd-Konzert verkaufte, klaute er die Einnahmen. Lang ist’s her.

Nun also hat er, dank einer der üblichen Produzentenpartys, Valentine im Visier, den Liebhaber und Mörder seiner Tochter. Hoch droben in den Hollywood Hills hängt dessen Adlernest, mit Panoramablick auf den Pazifik. Was dieses Haus samt seiner Atem beraubend über dem Abgrund schwebenden Plattform mit dem Swimmingpool filmisch alles hergibt, das bleibt für längere Zeit im Gedächtnis haften. Das Ungeschick des Gangsters, der die Leute nicht kapiert, die erwarten, dass die Ankommenden ihnen ihre Autoschlüssel geben, startet ein merkwürdig verhaltenes Ballett, in dem sich Valentine und Wilson suchend umeinander drehen. Und während Valentine – noch ganz entspannt und groß im Vordergrund gezeigt – auf seine Bodyguards setzt, sieht man im Hintergrund, wie Wilson einen dieser mächtigen Brocken vom Deck des Swimmingpools in den Abgrund kippt.

Ironie & Ikonen: Auch der Killer, den Valentine nun mietet, ist ein Star. Joe Dallessandro, einst in Andy Warhols Factory zu Hause, ist Onkel John. Aber weil weder er noch sein Kumpel Stacy richtig gute Killer sind, kommt es zur Konfrontation von Wilson und Valentine. Irgendwo in einem Anwesen in Big Sur liefert Valentine dem Vater das Geständnis, in dem Wilson mehr Schuld bei sich als beim Mörder seiner Tochter entdecken muss.

Merkwürdigerweise gewinnt der Plot, der einen bislang nur marginal interessierte, hier doch noch einen psychologischen Kick. Für einen Moment scheint das klassische Familiendrama auf, das in der Loyalität gründet, zu der sich ein Familienmitglied über seine Kräfte hinaus verpflichtet sieht. Dieser Moment lässt dann auch den Auftakt zu „The Limey“ verständlicher werden. Dave Wilsons grotesk-gewalttätiges Verhalten ist der Schlüssel zu „The Limey“. Davon hatte die Eleganz von Terence Stamps stoischem, faszinierend eindimensional alle Aufmerksamkeit auf sich ziehendem Spiel vielleicht allzu sehr abgelenkt. Brigitte Werneburg

„The Limey“. Regie: Steven Soderbergh. Mit Terence Stamp, Peter Fonda, Lesley Ann Warren. USA 1998, 110 Min.

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