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Intrige oder Wissenschaft

Das Institut für Totalitarismusforschung demontiert sich selbst. Auslöser: ein Artikel über Hitler-Attentäter Elser ■ Von N. Reimer

Das ist höchster wissenschaftlicher Eifer: Seit Wochen unternimmt das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) einen Selbstversuch. Herausgefunden werden soll anscheinend, welche Mechanismen – stalinistische, faschistische, bundesdeutsche oder andere – am besten zur Konfliktbewältigung taugen.

Als Konflikt erkor sich das Institut einen Artikel über den Hitler-Attentäter Georg Elser. Verfasser Lothar Fritze, Privatdozent und HAIT-Mitarbeiter, bewertete darin den versuchten Sprengstoffanschlag vom 8. November 1938 als „moralisch nicht zu rechtfertigen“. Weil Adolf Hitler damals den Münchner Bürgerbräukeller 13 Minuten vor der Detonation verließ, kam er mit dem Leben davon. Getötet wurden sieben Gefolgsleute und eine Aushilfskellnerin, dutzende Menschen wurden verletzt, einige trugen bleibende Schäden davon.

Artikelautor Fritze wirft die Frage auf: Darf ein Täter beim Tyrannenmord – den Fritze im Falle Hitlers für notwendig und gerecht hält – das Opfer Dritter, Unbeteiligter billigend in Kauf nehmen? Seine Antwort: nein. Daher gebühre Elser nicht der herausragende Platz, den er in der Ehrengalerie des deutschen Widerstandes einnimmt.

Darf man als Deutscher ein solches Urteil in Deutschland publizieren? Die Antwort ist durchaus konfliktträchtig.

Erster Versuch des Experiments: die sozialistische Variante. Nach dieser darf natürlich „unten“ selbstständig gedacht werden. Was zählt, ist aber die Meinung von „oben“. HAIT-Direktor Klaus-Dietmar Henke war gegen den Artikelinhalt, gegen eine Veröffentlichung. „Henke verbot nicht, er setze qua Amt darauf, dass sich Fritze dem Wunsch des Direktors fügen werde – also nicht veröffentlicht“, urteilt der Dresdner Politologe Werner Patzelt, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des HAIT. Der Ostdeutsche Fritze dachte gar nicht an des Direktors Wunsch. Am 8. November erschien sein Aufsatz ganzseitig in der Frankfurter Rundschau. Einziges Zugeständnis an Direktor Henke: Fritze erwähnte mit keiner Silbe, dass er etwas mit dem HAIT zu tun hat.

Zweiter Test des Selbstversuches: die stalinistische Methode, auch Diffamierung genannt. „Rechtsrevisionistische Tendenzen“ und „Nähe zu Rechtsradikalen“ warf Direktor Henke daraufhin sowohl Fritze als auch Henke-Stellvertreter Uwe Backes vor. Backes hatte sich mit dem Verweis auf die „Freiheit der Wissenschaft“ für eine Veröffentlichung stark gemacht. Man müsse auch etwas aussprechen dürfen, das dem Zeitgeist widerspricht.

Mit Backes Vorwurf, Direktor Henke erziehe seine Mitarbeiter zu „Duckmäusern“, begann das dritte Experiment des Selbstversuches, die bundesdeutsche Version, auch Medienkrieg genannt. Henke fütterte den Beirat und die Medien ein bisschen an: Backes sei ein Wortführer der neuen Rechten, ein Geschichtsrevisionist, einer, der womöglich gar Auschwitz leugne. „Neokonservativer Überzeugungstäter“ wurde Backes hernach etwa im Spiegel tituliert.

Derart bedrängt machte Backes – einer der profiliertesten deutschen Extremismusforscher – den Fehler, seinen Freund Peter Frisch um eine Ehrenerklärung zu bitten. Frisch, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, griff ganz privat zum Telefon und rief Direktor Henke an. Backes sei ein Garant für den Fortbestand unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das Amt sei stolz darauf, mit Backes zusammenzuarbeiten, erklärte Frisch, und das war gar nicht mehr privat.

Frisch fing sich eine Rüge von Bundestagspräsident Thierse ein. Der Institutsdirektor konterte entsprechend. „Flugs machte Henke einen Einschüchterungsversuch seitens eines Geheimdienstes aus dem Telefonat“, erklärt Kuratoriumsmitglied Patzelt. Henke habe auch erklärt, Backes stünde auf den Gehaltslisten dieses Geheimdienstes. Mit Folgen: Der Wissenschaftliche Beirat forderte die Entlassung von Backes. Kultusminister und Kuratoriumsvorsitzender Matthias Rößler (CDU) lehnte die allerdings kategorisch ab.

Der renommierte Holocaust-Forscher Saul Friedländer bereicherte den Selbstversuch des Institutes in dieser Woche nun um die totalitärste aller Konfliktlösungsmethoden. Friedländer, ebenfalls wissenschaftlicher Beirat des HAIT, drohte – und zwar ultimativ. Entweder, faxte Friedländer an die sächsischen Minister für Kultus und Wissenschaft, Backes werde bis zum 15. Januar rausgeschmissen. Oder er trete selbst aus dem Beirat zurück.

Dies hätte wahrscheinlich verheerende Konsequenzen für das Institut. Friedländers Mitarbeit war einer der Beweggründe der Dresdner Bank, das HAIT mit der Aufarbeitung ihrer Firmengeschichte während des „tausendjährigen Reiches“ zu beauftragen. Das Volumen dieses Auftrages macht ein Sechstel des Gesamtetats des HAIT aus, jeder vierte Wissenschaftler des Institutes arbeitet an diesem Projekt.

Doch es steht nicht nur materieller Schaden ins Haus. Das nach der jüdischen Philosophin Hannah Arendt benannte Institut hatte sich seit seiner Gründung 1992 mühsam, aber stetig einen hohen wissenschaftlichen Ruf erworben. Dank des Selbstversuches ist der inzwischen gründlich ramponiert. Lotte Köhler, 80-jährige Nachlassverwalterin von Hannah Arendt, kündigte gar an, dem Institut das Namensrecht zu entziehen.

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