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Totgesagte reden länger

Beim Dreikönigstreffen der FDP festigt Parteichef Wolfgang Gerhardt seine angeschlagene Position mit einer vehementen Rede. Parteiinterne Kritiker steckten schon im Vorfeld zurück ■ Aus Stuttgart Heide Platen

Wenn 2000 das Schicksalsjahr für die FDP ist, dann ist der neue Hoffnungsträger auch der alte. Jedenfalls vorerst. Mit einer vehementen, in weiten Passagen freien Rede riss der Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt sein Publikum im voll besetzten Saal des Stuttgarter Staatstheaters gestern Vormittag zu Beifallsstürmen hin. Beim traditionellen Dreikönigstreffen der Freidemokraten bekannte er sich voller Inbrunst zur Freiheit des Einzelnen, zur Bürgerpartei FDP. Er erinnerte an alte Verdienste und alte Zeiten, als die FDP noch Königsmacherin im Dreiparteiensystem war. Die Ex-Minister für Auswärtiges, Genscher und Kinkel, hörten das gerne.

Vorbei. Nach letzten Umfragen dümpelt die FDP in der Wählergunst bei vier Prozent. Gerhardt hatte beim Betreten des Saales gesagt: „Wir müssen das reißen!“ Er redete wie ums liebe Leben.

Dabei warteten die Löwen nicht nur in der Arena, sondern saßen auch auf dem Podium und applaudierten. Hunderte Male ist Gerhardt seit dem letzten Jahr als Parteichef totgesagt worden – an der Saar, in Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Berlin –, nach jeder Wahlniederlage ein bisschen mehr. Um seine Nachfolge wurde in den Parteigremien und zwischen den FDP-Chefs der Länder offen gerangelt. Der leutselige Rheinland-Pfälzer Rainer Brüderle hatte bereits begonnen, den Parteichef zu ignorieren und sich auf den vermeintlichen Kronprinzen, Generalsekretär Guido Westerwelle, einzuschießen.

Gerhardt steckte das alles, schien es, immer wieder gelassen weg. Dafür trägt er diese beredten Krawatten mit den großen Tieren drauf. Im Wahlkampfblatt sind es Tiger – hinter Gittern.

Am Vortag, beim 92. ordentlichen Landesparteitag der baden-württembergischen FDP in der Stuttgarter Liederhalle, war Gerhardt samt seinen Tigern allerdings nur auf dem Papier einer Broschüre anwesend. Da lächelt er eher zurückgelehnt und verhalten, die kleinen, braunen Augen im fleischig-schweren Gesicht fast zugekniffen, während sein umtriebiger Generalsekretär dem Betrachter vorgebeugt fast ins Gesicht springt.

Der des geplanten Königsmordes verdächtige Stuttgarter Landesvorsitzende und Wirtschaftsminister Walter Döring erwähnte den abwesenden Vorsitzenden und die Bundespartei in seiner Eröffnungsrede kaum. Kein Nachtreten diesmal an diesem Ort: „Wir sind die, die Wolfgang Gerhardt den Rücken stärken und die anderen dazu auffordern, das Personalgequatsche zu unterlassen.“ Die „anderen“ notorischen Gerhardt-Kritiker nennt Döring im nächsten Satz beim Namen. Die „Freunde“ haben die nächsten Landtagswahlen vor sich: Jürgen Möllemann in Nordrhein-Westfalen im Mai und Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein schon im Februar. Wenn die ebenfalls verloren gehen, so Döring ahnungsvoll, komme es auf die Landeschefs auch nicht mehr an.

Beide hatten dem Vorsitzenden das Leben in den vergangenen Monaten durch mehr oder minder offene Rücktrittsforderungen weidlich schwer gemacht. Nun werden auch sie im Abwind der CDU-Spendenaffäre nichts mehr zu lachen haben. Da kommt Führungsgezänk nicht gut. So hatte Möllemann in den letzten Wochen zurückgesteckt. Das „Tief“ in der Führung sei überstanden, sie stehe oder falle aber mit den nächsten Landtagswahlen. Kubicki verklausulierte seine vormals offene Kritik an dem lange unverbrüchlich treuen Kohl-Gefolgsmann Gerhardt im Vorfeld des Dreikönigstreffens. Die FDP dürfe sich nicht als „Ersatz-CDU“ verstehen.

Abgrenzen und retten, was zu retten ist, heißt die Devise. Das traf dann auch die Stimmung vieler der rund 400 Delegierten im Südwesten, die den Ruf nach einem stärkeren eigenen Profil der Partei mit vorsichtiger Kritik an ihrem baden-württembergischen Koalitionspartner CDU würzten. Man sei, so einer, schließlich nicht „verheiratet“.

Zum traditionellen Dreikönigsball ließ sich der an diesem Tag bis dahin vergeblich erwartete Parteichef erst lange nach der örtlichen Prominenz blicken. Bemüht munter stapfte er an den Kameras vorbei. „Na klar“, es gebe immer etwas zu feiern: „Ein neues Jahr und eine gute Zukunft.“ Jovial hatte er seinem Vize Döring zur Ablichtung in Friede und Freude auf die Schulter geklopft: „Komm, Walter, wir gehen zweimal rein.“ Das hatte der vorher allerdings schon längst getan. Medienpräsenz ist eine der leichteren Übungen für den alerten Döring, der sich erst in dieser Woche regionalen Spott gefallen lassen musste, weil sein Konterfei in einer schlichten Broschüre für Azubis gleich siebenzehnmal zu sehen war.

Und Gerhardt trug schon wieder so eine Krawatte: diesmal weiße Nashörner auf blauem Grund. An Tisch 23 wieselten Döring und Generalsekretär Westerwelle um ihn herum, während Gerhardt schwer auf dem für ihn fast zu kleinen Stuhl hockt, das Jackett mit seinen großen Händen immer wieder vor und zurück zerrt, dem dunklen Anzug die Ärmel zupft. Sein Blick streift an der Decke des Saales entlang, hin und her zwischen den riesigen Kristalllüstern. Und seine Augen sind, aller post-production in der Werbebroschüre zum Trotz, gar nicht braun, sondern blau. Am nächsten Morgen, zur Dreikönigsrede, sind die Tiere auf seiner Krawatte etwas kleiner geworden: Blaue Hunde rennen wie gehetzt auf gelbem Grund.

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