: „Wir sind oben, sie sind unten“
Israels Regierung ist bereit, ihre Truppen vom Golan abzuziehen. Dafür sollen die USA das israelische Militär von Grund auf erneuern
Jerusalem (taz) – „Ohne die Golanhöhen ist der gesamte Norden des Landes Angriffen der syrischen Armee vollkommen ausgeliefert.“ So warnt eine Informationsbroschüre, herausgegeben vom „Rat der Golansiedler“. Die Mitarbeiter haben Material parat über jeden einzelnen syrischen Angriff während des Waffenstillstandes von 1949 bis zum Sechstagekrieg 1967, als Israel den Golan annektierte. Danach ist es fast in jedem Monat zu Übergriffen gekommen, mal wurde ein Kibutznik erschossen, mal ist ein Fischer auf dem See Genezareth entführt worden: „Die Israelis, die im nördlichen Gebiet des Landes wohnen, waren unablässig Objekt unprovozierter Angriffe durch syrische Streitkräfte.“
Israels Opposition macht die „Bedrohung der Sicherheit Israels“ zum Kern ihrer Öffentlichkeitskampagne. „Sie sind oben, wir sind unten“, brachte es Likudführer Ariel Scharon auf den Punkt. Doch dass es niemals wieder zu einer Situation wie vor dem Sechstagekrieg kommen wird, verschweigt Scharon aus guten Gründen. Israels Regierungschef Ehud Barak hat zweifellos nicht die Rückkehr der syrischen Armee auf den Berg Hermon im Sinn, als er in den USA mit dem syrischen Außenminister Faruk asch-Schara verhandelt. Ein israelischer Truppenrückzug würde im Gegenzug die Entmilitarisierung der Golanhöhen voraussetzen. Eine Bedingung, die den Militärexperten, die vor dem Abzug warnen, ihre Argumentation deutlich erschwert. Selbst Jehuda Harel, ehemals Knessetmitglied der Golan-Partei „Dritter Weg“, General der Reserve und Golan-Siedler der ersten Stunde, gibt inzwischen zu: „Keine Siedlung im Land kann etwas zur Sicherheit beisteuern.“
Einig waren sich Befürworter und Gegner territorialer Kompromisse hingegen stets in der Frage der Vorwarnstationen. Derzeit unterhält der israelische Nachrichtendienst zwei mit riesigen Parabolantennen ausgestattete Horchposten - einen auf dem Hermon-Berg im Westen, der zweite ganz im Osten auf dem Berg Avital. Nach einem Rückzug vom Golan läge der zweite Stützpunkt mitten im syrischen Kernland und ist damit kaum haltbar. Die Israelis versuchen, die Präsenz israelischer Soldaten in der künftig von internationalen Militärs betriebenen Station zumindest auf dem Hermon durchzusetzen. Eine intensivierte strategische Zusammenarbeit mit den US-Amerikanern vor allem im nachrichtendienstlichen Bereich ist ohnehin eins der zentralen Anliegen Baraks. Nach Berichten des Militärreporters Aluf Benn von der israelischen Tageszeitung Haaretz weigern sich die Amerikaner bislang, nicht nur Israel, sondern auch anderen „befreundeten Staaten“ an ihren nachrichtendienstlichen Lauschsystemen teilhaben zu lassen. Barak versuche nun im Rahmen der Verhandlungen mit Syrien „an die Kronjuwelen des US-amerikanischen Nachrichtennetzwerks zu geraten“, schreibt Benn: „die direkte Verbindung zu den US-Lauschposten“, und zwar offenbar nicht nur zu denen auf den Golanhöhen.
Diese Forderung mag unverschämt anmuten. Doch angesichts der langen Liste von Rüstungskompensationen durch die USA, die sich Barak für einen Rückzug vom Golan erträumt, sind Kooperationen im Satellitennetz „peanuts“. Cruise-Missiles, Blackhawk-Hubschrauber und Herkules-Flugzeuge stehen auf der Wunschliste der Israelis – ein Gesamtpaket im Wert von 17 Milliarden US-Dollar. Barak will so eine komplette Modernisierung seiner Armee erreichen. Dabei hat er gar nichts dagegen, dass auch die Syrer ihren Teil vom US-amerikanischen Rüstungskuchen abbekommen. Unter der Bedingung, dass die Israelis auch künftig militärische Vormacht in der Region bleiben und dass die Regierung in Jerusalem über jede Waffenlieferung informiert wird, soll kein Einspruch gegen US-Militärhilfe an Syrien erhoben werden. Grund für diese Haltung ist die Überlegung, dass eine kontrollierte Modernisierung der syrischen Armee durch die USA einer Situation vorzuziehen ist, wo Damaskus ohne jede Einschränkung und ohne Abhängigkeit Waffen aus Europa und Russland einkauft.
Susanne Knaul
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