: König der Luftgitarre
■ Jürgen Zeltinger verschnürte im Meisenfrei Eigenkompositionen, Ramones- und Rio-Reiser-Coverversionen zu einem deftigen Rockpacket, verpackte aber seine 175 kg Lust- und Lebendgewicht nur ungenügend in seiner Latzhose
Es dauerte ein Weilchen, bis sich das Publikum aufgewärmt hatte. Jürgen Zeltinger, Rock'n'Roll-Urvieh aus Köln, gab den Rat, es mal mit ein paar Wodka oder Fernet zu versuchen. „Dann kommt ihr auch besser druff!“ Aber BremerInnen sind ja bekannt dafür, etwas reserviert zu sein. Als Zeltinger den „Tuntensong“ spielen wollte, musste er gar damit drohen, das Lied überhaupt nicht zu spielen, wenn niemand auf die Bühne käme und mittue. Die Drohung wirkte, und die Menge geriet langsam in Wallung. Dass vor dem Auftritt der Band die ganze Zeit AC/DC gelaufen war, brachte ganz gut auf den Punkt, was es mit Zeltinger auf sich hat, verkörpert er doch, wie seinerzeit Bon Scott oder Typen wie Angry Anderson von Rose Tattoo, den Bürgerschreck par excellence. Offensiver Umgang mit Drogen und mit sexuellen Neigungen, die in Zeltingers Fall auch noch von der heterosexuellen Norm abweichen, wurden als Markenzeichen exponiert, wie die billigen Tätowierungen. Bon Scott starb, indem er bewies, dass manche Leute den Hals sehr wohl zu voll kriegen können, als er an seinem Erbrochenen erstickte. Jürgen ,De Plaat' Zeltinger hat überlebt.
Der gut gefüllte Blues-Club Meisenfrei erwies sich als hervorragend geeignete Örtlichkeit für die Show des angeblich 175 Kilogramm wiegenden Originals. Die Band rockte solide. Auch wenn die Gitarristen, deren einer durch besonders verbissenes Grimassieren unangenehm auffiel, sich dann und wann in Gitarrenhelden-Pose werfen durften, bildete Zeltinger in jeder Sekunde das Zentrum des Geschehens. Mit einer Latzhose, die mehr von Zeltingers Körper enthüllte, als sie zu verbergen imstande war, Segelschuhen und einer schweren Goldkette bekleidet, sang er sich durch ein Programm, das neben ein paar neueren Stücken aus all seinen Klassikern bestand, sowie Versionen von Schlagern wie „Marmor, Stein und Eisen bricht“ oder einigen Takten aus „Daytripper“ von den Beatles.
„Entzug“, „Asi mit Niveau“, „Mein Vater war ein Wandersmann“, „Er war 18“, natürlich „Müngersdorfer Stadion“ und Zeltingers Version des alten Ramones-Kloppers „Rockaway Beach“, die nicht unbeträchtlich dazu beitrug, dass der Mann auch unter reiferen Punkrockern eine gewisse Reputation genießt, sorgten für zunehmend ausgelassene Laune. Zwischendrin entpuppte sich Jürgen Zeltinger als Entertainer, der auch mal herzlich über sich selbst lachen konnte. Etwa wenn er durcheinanderbekam, dass jener Typ, dem er höchst eigenhändig am laufenden Band Drinks in den Rachen beförderte, nicht Gitarre, sondern Bass spielte. Wer kennt schon seine eigene Band? Oder wenn die Band sich nicht ganz einig war, wo genau im Song sie jetzt eigentlich hätte sein müssen. Wenn er nicht sang oder conferierte spielte Zeltinger Luftgitarre, brachte seine Plautze in Wallung und hüpfte sogar einmal in die Höhe. Nach einer Stunde Rockens musste er sich dann aber schon für ein Weilchen setzen. Sein Kreuz sei eben auch älter geworden seit seinem letzten Auftritt in Bremen, entschuldigte er sich. Und das ist immerhin zehn Jahre her. Seine letzte Platte hat er vor zwei Jahren veröffentlicht. „Wir sind halt eine sehr fleißige Band, deswejen dauert dat alles so lang“, witzelte der mittlerweile 51-Jährige.
Wahrscheinlich ein Resultat dieser Arbeitsweise: Bei den Zugaben kam es zu Wiederholungen, weil der Band die Songs ausgingen. Aber da hatte Zeltinger sowieso schon gewonnen.
Andreas Schnell
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