■ Standbild: Kennen Sie Casting?
„ARD-exklusiv: Menschenjäger“, Fr., 21.45 Uhr, ARD
„Darf ich Sie kurz etwas fragen? Wir casten für die Post. Kennen Sie den Begriff ‚Casting‘?“, fragte die junge Frau den schlohweißen Herrn in der Fußgängerzone. „Nee“, sagte der, aber die Frau ist Streetcasterin und entsprechend freundlich bis zum allerletzten Nein, danach wird ihr Gesicht leer, und man denkt: Was es nicht alles gibt ...
Streetcaster zum Beispiel, die den Laiennachwuchs von der Straße sammeln: den Opa für die Post, Oma für die Kaffeewerbung, „ein Touri-Pärchen, schon etwas älter“, für den Reiseveranstalter, Milchgesichter für die Seifenoper, Normalos fürs Bier, auf die Schnelle noch einen Dicken mit Segelohren und dergleichen mehr. Abertausendfach, denn das Geschäft floriert. In München gibt es sogar ein Casting-Café. Dort hängen „Das Erste“-Poster an der Wand, und über den Stellwänden, vor denen die Unbekannten – Nr. 13107, 13108, 13109, 13110 usf. – für die Statistenkartei posieren, steht: „Ich will ins Fernsehen“.
„Menschenjäger“ war eine von diesen Was-es-nicht-alles-gibt-Reportagen, wie etwa letzte Woche über Gastronomietoilettenbedarfsvertreter auf Sat. 1.
Und wie dort haben auch Susanne Müller und Andreas Coerper wieder die Gelegenheit verschenkt, sich die abwegigen Arbeiter genauer anzuschauen, und stattdessen flotte, aber harm- und zahnlose Berufsporträts angefertigt: Wenn die Gesichtersucher im Regen oder auf der Reeperbahn willige Passanten abgriffen, dackelte die Kamera hinterher. Und weil die ARD nicht nur in Reportagen macht, sondern auch selber Seifenopern produziert, wurden sogar ein paar sonnige Bilder aus den „Marienhof“-Kulissen in den Beitrag geschmuggelt – quasi als Appetithappen, damit die schlummernden Talente da draußen das Berühmtwerden nicht für sinnlos halten.
Wer aber im Anschluss an die „Menschenjäger“ in eine Werbeinsel gezappt oder aus dem Haus und rein ins Wochenende gefallen ist, sah all die Gesichter, die ihm dort begegnet sind, womöglich plötzlich mit ganz anderen Augen. csch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen