: In Eckkneipen geht es nicht mehr rund
200 der bis dahin 3.000 Berliner Eckkneipen wurden 1998 geschlossen. Auch in anderen Städten geht immer seltener ein Pils über den klassischen Thresen. Die Szenegastronomie hingegen boomt
Um ein Bier zu heben, gehen immer weniger Leute auf „die Ecke“. Diese traditionelle Institution verliert nicht nur in Berlin ihre Kundschaft, sondern auch in Hamburg, wo sie bei den Hafenarbeitern genauso zum Milieu gehörte wie in der Beamtenstadt Karlsruhe. Im vergangen Jahr sank der Umsatz in den Berliner Schankwirtschaften um 11 Prozent. In Hamburg sank der Umsatz von 1992 bis 1997 um 13 Prozent, in Bremen gar um fast 30 Prozent. Von den rund 3.000 Eckkneipen der Hauptstadt haben laut Hotel- und Gaststättenverband allein im Jahr 1998 rund 200 aufgegeben. Und das in einer Stadt, von der es früher hieß, in ihr gebe es mehr Kneipen als Ecken.
Die Gastronomiestruktur hat sich in den vergangen 15 Jahren radikal verändert. Dem jüngeren Publikum reicht das profane Bier allein nicht mehr. Es verlangt nach Erlebnisgastronomie. Weine aus Übersee und Cocktails in bunten Farben sind Programm. Genauso wie attraktive Kellnerinnen, die neben den Getränken vor allem ein Image verkaufen.
„Das Ambiente“ stehe an erster Stelle, meint Claus Labonté von der Industrie und Handelskammer. Hohe Professionalität im Service, Sauberkeit, gutes Essen in einem fairen Preis-Leistungsverhältnis seien gefragt. Auch die Eckkneipe müsse sich etwas Besonderes ausdenken. Das könnten neben der frischen Bulette auch japanische Spießchen oder spanische Tapas sein.
Hinzu kommt, dass einige Wirte gerade wegen des schlechten Umsatzes mit ihren Brauereien zu kämpfen haben. Der pro Kopfverbrauch an Bier sinkt stetig. Marktführer wie Schultheiss und Berliner Kindl verlängern immer seltener die Miet- und Pachtverträge. „Wir haben einige Wirte, die sind total mit ihrer Miete im Rückstand“, erklärt Kindl-Vorstand Jochen Schmidt. In diesen Fällen sei es günstiger, sich von dem Standort zurückzuziehen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben viele Brauereien ihre Quartiere abgesteckt, Räume gemietet und an Wirte untervermietet oder verpachtet. Dem Wirt wurden meist Zapfanlage und Mobilar gestellt. Im Gegenzug musste „der Kneiper“ das Bier zu höheren als marktüblichen Konditionen von der Brauerei beziehen. Ohne Brauereien verlieren die Wirte ihren starken Partner und Darlehensgeber. „Oft sind das tragische menschliche Schicksale, die entstehen“, weiß Labonté. Aber viele Wirte könnten die Umstrukturierung ihrer Kneipe „nun mal nicht schultern“: „Die bieten immer nur für eine Zielgruppe an, die es so nicht mehr gibt.“
Dabei geht es der Szenegastronomie in Berlin nicht schlecht, und die Hotellerie konnte für das erste Halbjahr 1999 sogar ein Plus von 4,5 Prozent melden. Lakonisch stellt Weißenborn fest: „Gerade in Berlin ist in diesem Gewerbe Musik. Nur bei den Eckkneipen wird das Geld nicht ankommen.“
Annette Rollmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen