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Auf Bambusliegen zum Ende der Welt

Auf dem Kreuzfahrtschiff „Wat Phou“ über den Mekong in vergessene Regionen ■ Von Volker Klinkmüller

Stundenlang war das Ufer menschenleer, haben sich die gewaltigen Wassermassen des Mekong in aller Einsamkeit und Stille das Flussbett hinuntergewälzt. Doch nun scheint sich die „Wat Phou“ wieder einer Siedlung zu nähern. Einige Fischer mühen sich, ihre Netze zu entwirren, während andere ihren Fang aus Bambusreusen gleiten lassen. Nicht weit entfernt versuchen Frauen mit flachen Holzschalen, Goldsand aus dem Strom zu waschen. Auch in den Bäumen, die auf ihrem unterspülten Wurzelwerk im Uferlehm thronen, regt sich Leben. Wie bunte Früchte hängen Kinder im dunkelgrünen Blätterdach der Riesen. Als das Schiff auf gleicher Höhe ist, klettern sie eilig herunter, um es am Ufer lautstark jubelnd zu begleiten. Denn in diesem abgelegenen Winkel Südostasiens sind Touristen eine vielbestaunte Rarität.

„In den Regenwäldern dort drüben“, zeigt Mr. Air auf dunstige Bergkuppen in weiter Ferne, „gibt es sogar noch Völker, die ihr Dasein als Sammler und Jäger fristen!“ Als „Mädchen für alles“ und in der zehnköpfigen Crew für das Wohl der Passagiere zuständig hatte sich der überaus freundliche Laote am Morgen vorgestellt, bevor die „Wat Phou“ in der verschlafenen Provinzhauptstadt Pakse – Tor zum unbekannten Süden von Laos – abgelegt hatte. Ein Franzose hat das Kreuzfahrtschiff im Expeditionsstil bauen lassen, damit Touristen den Geheimnissen, Schätzen und Legenden des Mekong flussabwärts bis in die Provinz Champasak nachspüren können. Mit seinem stählernen Rumpf und den doppelstöckigen, hölzernen Aufbauten gilt der 34 Meter lange und knapp 8 Meter breite Flusskreuzer als größtes Schiff im Land.

Die zehn Kabinen sind – wie auch ihr Mobiliar – vollständig aus stilecht-behaglichem Tropenholz, und schon die kleinen Klimaanlagen oder die eigenen Warmwasser-Duschen machen die „Wat Phou“ zu einem schwimmenden „Vorboten der Zivilisation“.

Auf einer Länge von 1.865 Kilometern durchfließt der Mekong das jahrelang isolierte Laos, das noch immer kommunistisch regiert wird und zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Es gibt weder eine Eisenbahn noch ein funktionierendes Straßennetz. Wichtigster Verkehrsweg, aber auch kulturelle und wirtschaftliche Lebensader, ist der Mekong. Mehr als für die anderen Anrainerstaaten China, Myanmar, Thailand, Kambodscha und Vietnam wurde er für die Laoten zum Schicksalsfluss. Alle bedeutenden Städte sind am Mae Nam Khong – der „Mutter aller Wasser“ – entstanden. Seit ewigen Zeiten verlassen sich Reisbauern wie Fischer auf die Fruchtbarkeit seiner Fluten. Während der Wirtschaftsboom über Südostasien hinweggefegt ist, blieb der – nach Nil, Amazonas, Jangtsekiang und Ob – fünftlängste Strom der Welt weitgehend unberührt. Doch es dürfte nicht mehr lange dauern, bis der Mekong sein Gesicht verändern wird.

Die Maschinen werden gedrosselt, das Schiff verliert an Fahrt. „Zeit zum ersten Landgang!“, ruft Mr. Air. Wegen des geringen Tiefgangs von nur eineinhalb Metern kann die „Wat Phou“ fast am Ufer anlegen. Über ein Holzbrett balancieren die elf Passagiere an Land. Dann müssen sie sich auf die überdachte Ladefläche eines bunt lakkierten Lkw schwingen und ihre Gliedmaßen zwischen spartanischen, engen Sitzbänken verstauen. „Das ist ein landestypischer Bus“, schmunzelt Mr. Air, als das museumsreife Gefährt zu den Tempelanlagen von Wat Phou startet. Die ältesten Ruinen stammen aus dem 5. Jahrhundert und haben dem Flusskreuzer seinen Namen gegeben. Historiker vermuten, dass sie zu der verschollenen Stadt Chestapura gehören, die einst Zentrum des Khmer-Reichs Chenla war. Die Regierung würde sich diesen archäologischen Schatz von der Unesco gern als drittes Flächendenkmal – nach der ehemaligen Königsstadt Luang Prabang im Norden des Landes und der „Ebene der Tonkrüge“ in der Provinz Xien Khouang – anerkennen lassen. Denn neben dem Export von Edelhölzern und Wasserkraft-Energie soll der Tourismus schon bald als wichtigste Devisenquelle sprudeln.

Mit komfortableren Hotels, neuen Flugverbindungen wie zum Beispiel von Angel Air und Bangkok Airways ab Bangkok (später auch ab Sukothai) nach Luang Prabang, mehr Grenzübergängen und erheblichen Reiseerleichterungen – wie dem „Visa on Arrival“ – war das Land ehrgeizig auf das „Visit Laos Year 1999/2000“ vorbereitet worden.

Die Mitte November unter dem offiziellen Motto „Laos heißt Ihre neue Liebe!“ gestartete Werbekampagne soll in diesem Jahr bis zu 700.000 Ausländer ins Land locken. Um den Zugang nach Südlaos zu erleichtern, wird es – nach der Mithrapap-Brücke bei Vientiane – zwischen dem thailändischen Mukdahan und der laotischen Provinz Savannakhet schon bald eine weitere Verbindung über den Mekong geben. Besonders eifrig und mit hohen Krediten der Asian Development Bank wird zur Zeit am Ausbau der Nationalstraße 13 gearbeitet, auf der die Touristenziele des Südens – wie die Tempelanlagen von Wat Phou – bisher nur in beschwerlichen Tagesreisen zu erreichen waren.

Erst 1866 wiederentdeckt, liegen die Ruinen des „Bergtempels“ – so die Übersetzung von Wat Phou – einsam und verlassen inmitten bewaldeter Hügel. Mit ihren Wasserbecken für rituelle Waschungen, den figurengeschmückten Galerien und Promenaden, die sich im Berghang als Treppen fortsetzen, ist die auf drei Ebenen errichtete Anlage streng symmetrisch ausgerichtet. Ihre reichhaltige Verzierung mit Reliefs hinduistischer Gottheiten wie Shiva, Vishnu oder der Todesgöttin Kala strapaziert die Fotoapparate. Über einen Trampelpfad führt Mr. Air zu einer krokodilförmigen Steinwanne. „Hier wurde früher das Blut der Jungfrauen aufgefangen, die den Göttern nach durchtanzter Nacht im Morgengrauen geopfert wurden“, erläutert er mit todernster Miene.

Der Mekong hypnotisiert die Sinne

Zurück in der Geborgenheit des Schiffes, haben es sich die Passagiere mit ihren Lieblingsromanen, Tagebüchern, Landkarten oder Ferngläsern wieder auf dem Oberdeck gemütlich gemacht. Während der viertägigen Kreuzfahrt erweist es sich als wichtigster Ort des Schiffes und geselliger Treffpunkt der Kreuzfahrer. Umrahmt von einer holzgeschnitzten Säulen-Balustrade, dekoriert mit Blumentöpfen, Bodenvasen und allerlei Kunsthandwerk, dürfte es an Romantik und Bequemlichkeit jede Hotel-Lounge übertreffen: in der Mitte des Vordecks ein einladendes Riesen-Bett aus Bambus und überall verteilt bastgeflochtene Liegestühle im Kolonialstil, rustikale Rattan-Liegen, zu kleinen Sitzgruppen formierte Korbsessel, landestypische Matratzen-Lager, kuschelige Bodenkissen – und von jedem Platz ein garantierter Panoramablick auf die Flusslandschaft.

Der Mekong hypnotisiert die Sinne. Schnell wachsen die Südostasien-Fans aus Frankreich, Australien, Amerika und Deutschland zur harmonischen Kreuzfahrer-Gemeinde zusammen. Am zweiten Tag verändert der Mekong sein Gesicht: Zwei Kilometer breit und bis zu dreißig Meter tief ist nun der Strom. Trotzdem muss Kapitän Dar, dessen Navigationskenntnisse auf dem Fluss schon während des Vietnamkriegs gefragt waren, höllisch aufpassen. Mal ist es eine winzige Felsinsel, mal nur ein unscheinbares Grasbüschel, das auch für uns die tückischen Untiefen erkennen lässt. Alles, was aus den lehmig-braunen Fluten auftaucht, wird umgehend auf dem Oberdeck diskutiert. Und immer wieder ist es die bedrohte Zukunft des Mekong, die die Gemüter an Bord bewegt: Unter den großen Strömen der Welt ist er der letzte in seinem natürlichen Bett. Erst 1994 wurde seine Quelle in den schneebedeckten Bergen Osttibets entdeckt. Nun soll der fast 5.000 Kilometer lange, bisher durch politische Konflikte und ideologische Fronten geschützte Strom als „vergeudete Quelle natürlichen Reichtums“ die wirtschaftliche Lage der Region verbessern.

Im Krieg ums Wasser könnten die Indochina-Kriege eines Tages fröhliche Urständ feiern. Denn in der „Mekong Commission“ bemühen sich die Anrainerstaaten zuweilen vergeblich, ihre Interessen miteinander abzustimmen. Erfolgreicher sind sie offenbar darin, den Bau von Staudämmen, Deichen und Begradigungen, mit Bewässerungsanlagen, Schleusen und Häfen voranzutreiben. China hat schon vor zehn Jahren mit dem Dammbau begonnen, und der angedachte, 850 Quadratkilometer überflutende „Sambor-Damm“ in Kambodscha würde sogar die Umsiedelung von 60.000 Menschen erfordern. Mit Recht bangt das überbevölkerte Vietnam, am untersten Ende des Stroms gelegen, um sein Haupt-Reisanbaugebiet im Mündungsdelta. Denn allein in Laos sind am Mekong und seinen Nebenflüssen bis zum Jahr 2020 fast 60 Staudämme geplant. Sie könnten eine Designer-Landschaft entstehen lassen, die mit der ursprünglichen Natur kaum noch etwas zu tun hat.

„Das Wasser erfüllt viele ökologische Funktionen, auch wenn es einfach nur ganz ungenutzt den Fluss hinunterläuft!“, geben Maurice und Elaine – zwei Biologie-Studenten aus Bordeaux – zu bedenken. Jeder menschliche Eingriff in den Wasserhaushalt oder die Fließgeschwindigkeit würde zu Verschlammungen und somit beispielsweise zu mehr Krankheiten bei den Anwohnern, zu schwindender Fruchtbarkeit in traditionellen Überschwemmungsgebieten oder zum Aussterben bestimmter Fischarten führen, weil diese in ihren Wanderungen oder Laichgebieten beeinträchtigt werden. Bisher tummeln sich noch über 1.000 verschiedene Arten im Mekong. Dazu gehören auch die selten gewordenen Irrawady-Delfine oder der Flusswels „Pla Buek“, der als größter Süßwasserfisch der Welt bis zu dreihundert Kilogramm wiegen kann. Tagtäglich halten die Passagiere des Flusskreuzers Ausschau, um wenigstens eines dieser legendären Tiere zu erspähen – doch vergeblich.

Aber dafür lassen sie sich im gediegenen, klimatisierten Bordrestaurant nur allzu gern mit anderen fangfrischen Mekong-Fischen trösten. Als schmackhafte Suppe, leckere Pastete in Bananenblättern, würzig mit Knoblauch gebraten oder als saftiges Scheibensteak werden sie aus der kleinen Kombüse gezaubert. Am südlichsten Punkt der Kreuzfahrt, der am dritten Tag nach rund 130 Flusskilometern erreicht ist, am Khong Phapheng – dem „Getöse des Mekong“ und größten Wasserfall Asiens – donnert der Fluss als kaffeebraune, weiß brodelnde Gischt über achtzehn Meter hohe Felsen in die Tiefe. Viel Geisterglauben, jede Menge Sagen gehören zum Mythos dieses paradiesischen Naturschauspiels im Grenzgebiet zu Kambodscha, das von den Einheimischen „Siphandone“ genannt wird. Auf einer Breite von 14 Kilometern und zerteilt durch viertausend kleine Inseln in unzählige Arme und Stromschnellen, entschwindet der Mekong den Blicken seiner Bewunderer.

Die störende Lücke im Personentransport

Furchtbar enttäuscht waren die beiden Mekong-Forscher Ernest Douart de Lagree und Francis Garnier um 1860, als sie hier – aus Richtung Süden stromaufwärts kommend – ihre beiden Kanonenboote zurücklassen mussten. Die große Hoffnung, über den Mekong eine schiffbare Flussverbindung nach China zu finden, hatte sich in den schäumenden Fluten zerschlagen. Später hat die französische Kolonialmacht sogar erwogen, einen Teil der hinderlichen Felsen zu sprengen. Aber dann, so zitierte damals ein Mönch die heiligen Schriften des Pali, würde es in Laos nie wieder trinkbares Wasser geben. Um die störende Lücke im Personen- und Warentransport zu schließen, wurden im späten 19. Jahrhundert zwei Häfen und eine fünf Kilometer lange Eisenbahnstrecke gebaut, deren Überreste noch heute zu sehen sind. Inzwischen ist das „laotische Niagara“ durch ganz andere Pläne bedroht: Thailändische Investoren haben vorgeschlagen, hier für 140 Millionen Dollar ein 2.000-Betten-Hotel mit zwei Spielcasinos, einem Golfplatz und einem kleinen Flughafen zu bauen. Wahrscheinlich ist es nicht zuletzt der asiatischen Wirtschaftskrise zu verdanken, dass diese Pläne vorerst wieder in der Schublade verschwunden sind.

Gegen die Strömung stampft die „Wat Phou“ zurück nach Pakse. Nachdem sie es sich ein letztes Mal auf ihren Lieblingsplätzen an Deck gemütlich gemacht haben, diskutieren die Kreuzfahrer über die Umweltverträglichkeit ihrer eigenen Reise: Immerhin sind es rund 1.500 Liter Diesel, die die vier Motoren und Generatoren des Flusskreuzers während der Reise verpusten. Der anfallende Müll wird nachts verbrannt, die Überreste auf den Uferbänken verbuddelt. Und dass die Abwässer nicht sämtlichst (oder zumindest nicht immer) in den versprochenen Auffangbehältern landen, davon können die Passagiere wohl ausgehen. Als weitaus größere Umweltbelastung scheinen sie allerdings dieses ohrenbetäubend lärmende Schnellboot zu empfinden, das den gemächlichen Flusskreuzer gerade überholt und von denen im Norden des Landes viele über den Mekong jagen.

Die vier Touristen, die sich mit Plastikhelmen und Ohrenschutz in diese wütende Hornisse gequetscht haben, winken freundlich herüber. Doch die Kreuzfahrer der „Wat Phou“ fühlen sich offensichtlich gestört und verspüren keinerlei Lust, den Gruß zu erwidern.

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