: Wärmespeicherung in Gips
■ In Neckarsulm wird im Sommer mit Solarenergie der Erdboden 30 Meter tief für den Winter aufgeheizt.Mit neuer Heiztechnik sollen Reihenhäuser mit 150 Quadratmeter Wohnfläche 358 Mark pro Jahr sparen können
Neckarsulm liegt zwischen zwei Welten. Am Bahnhof empfängt den Besucher fossile Großtechnologie des Stromversorgers Energie Baden-Württemberg: Ein riesiger Kühlturm, Kühlwasserschwaden und die Kamine des Kraftwerkes Heilbronn dominieren das Bild am Südrand der Stadt. Im Nordosten von Neckarsulm dagegen: Zukunftstechnik. 54 Prozent des Wärmebedarfes werden dort künftig solar gedeckt. Keiner der 1.300 Haushalte wird ausscheren und das ambitionierte Projekt gefährden; dafür haben die Stadtväter in den Kaufverträgen für die Grundstücke Sorge getragen. Denn Häuser ohne Solaranlage sind nicht zugelassen.
Die große Innovation im Stadtteil Amorbach ist ein solares Nahwärmenetz mit zentralem Erdwärmespeicher. Mit Sonden im Abstand von jeweils zwei Metern wird das Erdreich im Sommer bis in eine Tiefe von 30 Metern solar erwärmt, im Winter wird die Wärme dem Boden wieder entzogen. Dazu nutzt man keinen Speicher im klassischen Sinn, denn der vorhandene Gipskeuper selbst lässt sich als idealer Wärmeträger nutzen. Lediglich nach oben hin muss das Erdreich gegen die kühlende Umgebungsluft isoliert werden. In der Endausbaustufe wird der Speicher eine Fläche von knapp einem halben Hektar und ein Erdvolumen von 140.000 Kubikmetern umfassen. 1.152 Sonden werden dann das warme Wasser in den Boden pumpen, einen Teil ihrer Energie abgeben und anschließend abgekühlt wieder emporsteigen. Bisher sind 700 Quadratmeter Erdbodenspeicher, entsprechend einem Speichervolumen von 20.000 Kubikmetern, realisiert.
Mehr als 4.000 Menschen sollen in wenigen Jahren an dem Solarwärmenetz Amorbach hängen. Auf 51 Hektar Grundfläche werden dann alle geeigneten Dachflächen mit Sonnenkollektoren belegt sein. Und damit nicht – wie in vielen anderen Neubaugebieten – dilettantische Architekten die Häuser in absurde Himmelsrichtungen orientieren, hat die Stadt derlei Unfug einen Riegel vorgeschoben: Die Ausrichtung der Bauten zur Sonne wurde gleich im Bebauungsplan verankert.
Auf diese Weise werden sich auf den Dächern im Neubaugebiet Amorbach 15.000 Quadratmeter Solarkollektoren unterbringen lassen. Die Kosten der Solaranlage tragen die Stadtwerke. Zwischen 405 und 425 Kilowattstunden (kWh) Wärme wird jeder Quadratmeter pro Jahr liefern. Damit ergibt sich ein Ertrag von 6,25 Millionen kWh jährlich. Zieht man die Speicherverluste von 10 Prozent ab, so bleiben 5,6 Millionen kWh Nutzenergie. Bei 105.000 Quadratmetern beheizter Nutzfläche, für die dank guter Wärmedämmung inklusive Warmwasser nur 10,5 Millionen kWh Wärme jährlich benötigt werden, ergibt sich ein solarer Deckungsgrad von 54 Prozent. Den Rest decken mehrere Blockheizkraftwerke.
Damit trotz der umweltfreundlichen Wärmeversorgung nicht allzu viel Energie benötigt wird, dürfen die Häuser pro Jahr höchstens 50 kWh je Quadratmeter zur Raumheizung benötigen. Altbauten brauchen heute oft noch das Sechsfache.
Ein Fünftel der Kollektorfläche ist bereits installiert, wodurch Neckarsulm bereits zum Mekka der Energieexperten wurde. „Unser Stadtwerkechef ist zum Fremdenführer geworden“, sagt Baubürgermeister Klaus Grabbe
Für die Bürger in Neckarsulm ist das Konzept wirtschaftlich, da sie keine eigene Heizung im Haus benötigen. Nach Berechnungen der Stadtwerke lassen sich in einem Reihenhaus von 150 Quadratmeter Wohnfläche durch das installierte Solarsystem jährlich 358 Mark an Heizkosten sparen.
„Es war von Anfang an unser Ziel, dass die Bewohner in Amorbach nicht mehr für ihre Wärme bezahlen müssen als anderswo, sagt Sigbert Effenberger, technischer Leiter der Stadtwerke. Das hat man offenbar erreicht. Und die Bewohner der Häuser bemerken gar nicht, aus welch innovativer Quelle ihre Raumwärme stammt. Im Keller befindet sich ein Wärmetauscher mit Wärmezähler, von dort aus werden die Heizkörper in den Zimmern gespeist. Der Bewohner dreht seine Heizung an, wie er es aus konventionell beheizten Wohnungen kennt. Abgerechnet wird mit den Stadtwerken nach der bezogenen Wärmemenge. Auch für die Stadtwerke bringt das neue System keine aufwendigen Neuerungen: Der Speicher sei, versichert Effenberger, „nach heutigem Kenntnisstand wartungsfrei“. Bernward Janzing
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen