Wie verkaufe ich einen Türken

Integration interessiert nicht mehr: Die türkische Medienszene in Deutschland differenziert sich aus, und die Ökonomie ist Motor der Entwicklung. Der Paradigmenwechsel kommt mit Anzug und Laptop ■ Von Daniel Bax

Die neuen türkischen Medien bedienen weniger Ressentiments, aber auch sie bedienen in erster Linie Befindlichkeiten

Die Furcht ist so alt wie das Privatfernsehen in Deutschland. Seit es kommerzielle TV-Kanäle gibt, mahnen Stimmen: Die Gesellschaft driftet auseinander und zerfällt in immer kleinere Grüppchen versprengter TV-Konsumenten. Sie fragen: Was hält unsere Gesellschaft denn noch in ihrem Innersten zusammen, wenn es nicht mehr die „Tagesschau“, der „Tatort“ und die „Wetten dass“-Show am Samstagabend sind?

Die Sorge um die Orientierungsfähigkeit des Mediennutzers ist noch größer, wenn er türkischer Herkunft ist, zumal die Parabolantennen der meisten türkischen Haushalte in ganz andere Richtungen deuten als die ihrer deutschen Nachbarn. Wenn dann türkische Tageszeitungen wie Hürriyet auch noch einem latenten – und zuweilen auch ganz manifesten – Nationalismus Vorschub leisten, sich vulgär und polemisch gebärden und selbst vor der persönlichen Diffamierung politischer Gegner nicht zurückschrecken, dann wird die Frage nach den Medienpräferenzen der Deutschtürken leicht zum Politikum.

Als die Evangelische Akademie Loccum am Wochenende zu einer Tagung über die „türkische Medienkultur in Deutschland“ rief, da waren es allerdings kaum Deutsche, die kamen, um sich über das Thema zu informieren. Es waren vor allem türkischstämmige Teilnehmer, die ihre Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Medienangebot in ihrer Sprache artikulierten. Die Kritik schloss die deutsche Seite mit ein. Ein Teilnehmer erklärte das Multikulti-Modell des öffentlich rechtlichen Rundfunks für gescheitert und mokierte sich über das „Funkhaus Europa“ genannte Fremdsprachenprogramm des WDR. So gut gemeint es auch sei: mit kubanischer Musik und Kurzberichten über Wanderarbeiter in Indien sende man verlässlich vorbei an der türkischen Hörerschaft in NRW, für die man eigentlich da zu sein vorgebe. Und, pardon – wofür zahlen die dann ihre Rundfunkgebühren?

In der Diskussion um die Minderheitenmedien in der Bundesrepublik offenbart sich jedoch ein deutlicher Paradigmenwechsel, der sich auch als Generationswechsel bemerkbar macht. Der Prototyp dieser Entwicklung ist nicht mehr der Journalist, sondern der Sales-Manager, sprich: Verkäufer. Wäre der Begriff nicht etwas vorbelastet, man könnte es einen Zusammenprall der Kulturen nennen: auf der einen Seite jene, die aus alter Gewohnheit über Medieninhalte diskutieren und sich über manche Aspekte ärgerten. Auf der anderen Seite präsentieren sich junge Medienmacher wie Ozan Sinan, Herausgeber der Lifestyle-Postille etap, oder Akin Duyar, der in Loccum seine Berliner Radiowelle „Metropol FM“ vorstellte, den ersten privaten Radiosender in Deutschland für eine rein türkische Hörerschaft. Im Bussiness-Anzug dozierten beide über Zielgruppen und Marktchancen und ließen schicke Statistiken von ihren Laptops auf die Leinwand surren.

„Wie verkauft man einen Türken“, dies sei für ihn die Kernfrage seiner Arbeit, so Akin Duyar. Schließlich könne er sein Programm nur finanzieren, wenn es ihm gelänge, sein Publikum der Werbewirtschaft schmackhaft zu machen. Allerdings habe er die Erfahrung gemacht: „in Deutschland muss man erst lernen, dass auch ein Türke etwas wert ist“. Dabei habe er gute Argumente, schließlich gilt die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland als besonders konsumfreudig, kaufkräftig und qualitätsbewusst. Und markentreu! Ozan Sinan hatte sogar eine psychologische Erklärung dafür parat, warum er seinem Kind eher Pampers-Windeln als ein No-Name-Produkt kaufen würde. Es sei der Konsumverzicht der Eltern, die lange auf ein Ziel in der Türkei hingearbeitet hätten, der viele Deutschtürken der zweiten Generation in ihrer Kindheit geprägt habe. Diesen erlebten Mangel versuchten viele eben mit einer zuweilen übertriebenen Jagd nach materiellem Wohlstand und Statussymbolen zu kompensieren, so Sinans Selbstdiagnose.

Pragmatiker wie Sinan oder Duyar interessieren sich für die Inhalte ihrer Medien nur so weit, wie sie dem kommerziellen Kalkül dienen. Das Wort „Integration“ hat für sie keine große Relevanz. Und warum auch? Schließlich, so warf der Grünen-Politiker Cem Özdemir ein, müssten sich Pflege der Muttersprache und Sprachkompetenz im Deutschen nicht ausschließen, im Gegenteil. Nur Eckhard Scholz, der neben seinen 40 kostenlosen Anzeigenblättern auch eines in türkischer Sprache herausbringt, gestand, „zwei Seelen in der Brust“ zu haben: die des Kaufmanns und die des Staatsbürgers. Als Staatsbürger sei er gegen türkischsprachige Wohnghettos, aber unter vertriebstechnischen Gesichtspunkten könne er sich nichts Besseres wünschen.

Inzwischen sind Medien und Werbewirtschaft ganz schön hellhörig geworden, wenn es um den neu entdeckten Markt der Deutschtürken geht. Manch hoch gesteckte Erwartung, die derzeit geschürt wird, dürfte sich allerdings mit der Zeit, wenn sich der Zahlennebel gelichtet hat, relativieren. Lifestyle-Zeitschriften wie etap hält der Verleger Echart Scholz etwa für „Totgeburten“, weil sie ein viel zu kleines Segment ansprächen. Andererseits verweist der Erfolg von Metropol FM auf das Potenzial. In Berlin wird der Sender laut einer Studie der Ausländerbeauftragten von fast drei Viertel aller türkischen Hörer der Stadt regelmäßig gehört, ein Rekordwert. Zum Vergleich: Das türkische Radioprogramm des SFB, nur wenige Stunden pro Woche im Äther, dümpelt bei einer Quote von 2,1 Prozent. Ähnliches könnte sich auch in NRW wiederholen, wenn dort, wie geplant, ein türkisches Privatradio startet. Ob die Konkurrenz das Geschäft belebt, ist fraglich, denn dazu müssten die öffentlich-rechtlichen Anstalten erst aus ihrem Koma erwachen.

Bedarf für ihren Beitrag gäbe es noch. Denn der Kampf um den Werbemarkt hat noch nicht zu einem wirklichen Qualitätssprung geführt. Die neuen Medien bedienen vielleicht weniger Ressentiments als jene, die aus der Türkei bezogen werden. Aber auch sie bedienen in erster Linie Befindlichkeiten. Was sie (noch) nicht bieten, ist kritischen Journalismus.