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Roben und Runen im Kerzenschein

Wenn in der Pathologie die Puppen tanzen: In Stefan Ruzowitzkys Horrorthriller „Anatomie“ kämpft Franka Potente gegen eine Medizinerverschwörung

Sex auf dem Seziertisch, Indiziensuche in der Kühlkammer, Verfolgungsjagden im Leichenschauhaus – solche Szenen, ein großes Budget, Franka Potente und viel Plastilin als Grundlage für einen Horrorthriller, das bedeutet für einen jungen splatterlustigen Regisseur eigentlich die Lizenz zum Loslegen. An der Adaption uramerikanischer Genres haben sich in letzter Zeit allerdings schon einige das Genick gebrochen.

In „Anatomie“ kommt die Medizinstudentin Franka Potente einer Verschwörung auf die Spur. Fleißig präparieren ihre Kommilitonen nachts an Leichen herum, wobei man den einen oder anderen anatomisch interessanten Patienten im Dienste der Wissenschaft ziemlich eklig um die Ecke, weil unters Skalpell bringt.

Nun ist ja das Schöne am Genrefilm, dass die Dinge so sind wie sie sind und nicht erklärt werden müssen. Doch da liegt schon Stefan Ruzowitzkys erstes Problem: „Anatomie“ erklärt in einem fort, was er als Genre voraussetzt. Wobei man sich in einem Thriller nur bedingt für die tieferen familiären Konflikte der weiblichen Heldin interessiert bzw. dafür, ob sie nun Ärztin wird, weil ihr Verhältnis zum Oberarzt-Opa so gut und das zum Praxis-Bülowbogen-Papi so schlecht ist. Im Thriller ist ein Medizinstudent einfach ein Medizinstudent, und er wirkt auch nicht medizinischer, wenn er ständig lateinische Vokabeln vor sich hin murmelt.

Mit seinem Alpendrama „Die Siebtelbauern“ gelang dem Österreicher Ruzowitzky die gleichzeitige Subversion und Umschreibung des Genres Heimatfilm. In „Anatomie“ übernimmt er reaktionäre amerikanische Schockerklischees, ohne sie zu brechen oder auch nur damit zu spielen. Der Killer schlägt immer dann zu, wenn gerade ein bisschen geknutscht wird, und die Figur der lustigen, ungebundenen sexfreudigen besten Freundin muss auch hier wieder böse für ihren lockeren Lebenswandel büßen.

Als erstes Projekt der neu gegründeten Deutschen Columbia Pictures Produktion ist „Anatomie“ ein merkwürdiger Hybrid aus amerikanischen Standards, deren misslungener Veralberung und dem spürbaren Unbehagen eines Regisseurs, der sich irgendwo dazwischen verloren hat. Dabei liegt die Idee eines Wissenschaftsthrillers, der den autokratischen Forscherwahn auf die Spitze treibt, durchaus in der Luft. Die kritische Stoßrichtung verliert sich hier allerdings in der Konstruktion einer mysteriösen Loge der Anti-Hippokraten, die mit Kerzen, Roben, Runen verschwörerische Sitzungen abhält und sich neben nebulösen Codices auf den Wissenschaftsbegriff der Nazis beruft. Als ob sich die heutige Medizin nicht längst einen ganz eigenen modernistischen Zynismus erarbeitet hätte. Da hätten sich ein paar Seitenhiebe gegen die pharmazeutische Industrie oder den Organspendenhandel besser gemacht als eine Bande grau melierter Professoren, die bei Kerzenschein im Keller kungelt. Katja Nicodemus„Anatomie“. Regie: Stefan Ruzowitzky. Mit Franka Potente, Benno Fürmann u. a. Deutschland 2000, 103 Min.

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